Übrigens…

Weg mit den Zäunen in der Debatte

Schon lange gibt es Zäune in Deutschland, nicht an der Außengrenzen, aber im Inneren der Gesellschaft.

08.03.2016

Von Gernot Stegert

Da gibt es in der Flüchtlingsfrage gut und böse, richtig und falsch, schwarz und weiß – und dazwischen den Stacheldraht der Verachtung füreinander. Mitgefühl und Vernunft sind geflüchtet und bitten um Asyl im Land der Schattierungen, der Zwiespältigkeiten, der zwei Seiten einer Medaille, der Vor- und Nachteile einer Sache, der Dilemmata, des Abwägens, des Zwar und des Aber. Wer nimmt sie auf?

An den Zäunen stehen Gesinnungswächter mit Satz-Waffen. Die einen schießen mit: Flüchtlinge sind eine Gefahr! Wir müssen Angst um unsere Töchter haben! Positive Integrationsbeispiele beschönigen doch nur! Wir sind nicht das Sozialamt der Welt! Die Gutmenschen sind blauäugig! Deutschland ist überfordert! Die meisten laufen ja gar nicht vor dem Krieg davon! Die Lügenpresse (jüngst wieder an den TAGBLATT-Eingang gekleistert) hat sich mit Merkel verschworen!

Die anderen sagen, gemäßigter im Ton, aber ebenso einseitig: Wir müssen alle Menschen aus Notlagen aufnehmen! Die Unterscheidung von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen ist künstlich! Konflikte sind nur aufgebauscht! Probleme werden gelöst! Geld spielt keine Rolle! Flüchtlinge lösen unser Fachkräfte- und Demografieproblem! Wer Negativbeispiele schildert, fördert Ressentiments! Die Probleme mit jungen Männern werden dramatisiert, auch hier gibt es Sexismus und sexualisierte Gewalt!

Die einen sehen lauter Probleme, die anderen allein Hoffnungen. Mit „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ rechtfertigen die einen das Verbreiten von Gerüchten, falschen Tatsachenbehauptungen, Bosheiten und Rassismus. Auf der anderen Seite wollen viele über die Herkunft von Straftätern, Konflikte in Unterkünften, ein patriarchalisches und oft verachtendes Frauenbild hinwegsehen, um nur ja keine aggressive Stimmung gegen Flüchtlinge zu schüren.

Besonders polarisiert der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Für die einen – er eingeschlossen – zeigt er Kante, spricht Klartext. Das idealisierte (Selbst-)Bild blendet aus, dass er sich öfters im Ton vergreift und meist nur Negatives benennt. Politiker können und sollten beides: ohne Umschweife reden und verantwortungsbewusst die Worte wählen. Für die anderen soll Palmer zur AfD gehen. Als würde er nichts für die Flüchtlingsintegration tun.

Die Wirklichkeit ist wie immer komplexer, differenzierter und unaufgeregter als die polarisierte Debatte, auch als diese Skizze davon sein kann. Eigentlich müssten hier jetzt die vielfältigen Unterscheidungen der angesprochenen Themen folgen. Das aber würde viele Seiten brauchen, und wir haben ja auch schon viel berichtet. Um so besser zu wissen, dass die Tübinger Stadtverwaltung, die Bürgermeister im Umland und der Landkreis ungeachtet aller Diskussionen pragmatisch handeln.