Tübingen · Wissenschaft

Wechsel zwischen Mega-See und Wüste

Tübinger Forscher rekonstruierten die 20000 Jahre Geschichte des Chew-Bahir-Sees in Äthiopien.

23.08.2020

Von ST

Der Chew Bahir-See im Süden Äthiopiens: Aktuell ist der See nahezu ausgetrocknet, aber in der Vergangenheit führte er immer wieder gewaltige Wassermassen.Bild: Annett Junginger, Senckenberg Center

Der Chew Bahir-See im Süden Äthiopiens: Aktuell ist der See nahezu ausgetrocknet, aber in der Vergangenheit führte er immer wieder gewaltige Wassermassen.Bild: Annett Junginger, Senckenberg Center

Forschende des „Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment“ an der Universität Tübingen haben mit einem internationalen Team in einem abgelegenen Tal in Südäthiopien die 20000 Jahre zurückreichende Geschichte des Chew-Bahir-Sees rekonstruiert. Unter der Leitung von Annett Junginger zeigen die Wissenschaftler/innen, dass der See in seiner Geschichte rapiden Wasserspiegelschwankungen unterlag, welche sich direkt auf die vor Ort lebenden Menschen auswirkten. Die Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Frontiers in Earth Science“.

Wasser ist das wichtigste Grundnahrungsmittel des Menschen. Menschen aller Kulturen strebten und streben danach, sich an Orten anzusiedeln, die nicht zu weit von sauberem Trinkwasser entfernt liegen – so auch seit 20000 Jahren am Chew-Bahir-See.

Derzeit ist dieser See nahezu vollständig ausgetrocknet. „In der Vergangenheit führte der See aber immer wieder enorme Mengen an Wasser und erreichte Ausdehnungen von der fünffachen Größe des Bodensees“, erklärt Markus Fischer, Erstautor und Doktorand an der Uni Tübingen. „Wir konnten anhand von hydrologischen Modellierungen und den Sedimenten des Sees enorme und schnell wechselnde Seespiegelschwankungen in dessen Vergangenheit aufzeigen.“

Die Modellbefunde und Sedimente des internationalen Forscherteams belegen, dass die ostafrikanische Landschaft immer wieder zwischen wüstenartigen Bedingungen und einem riesigen See wechselten, wobei zwischen dem Austrocknen und Wiederbefüllen des Sees oftmals nur wenige Jahrzehnte lagen. In den immer wieder auftretenden Feuchtphasen seien zwischen 20 und 30 Prozent mehr Regen im Vergleich zu heute gefallen, so die Wissenschaftler: . „Wer als Kind an einem See aufgewachsen ist und vielleicht dort den Fischfang gelernt hat, war im Erwachsenenalter eventuell mit einem ausgetrockneten See konfrontiert“, ergänzt Fischer.

Inwiefern die damaligen Menschen auf die Umweltveränderungen reagiert haben ist auf Grund der sehr lückenhaften archäologischen Datengrundlage weitestgehend unklar. Jedoch diskutieren Fischer und seine Co-Autoren die Beobachtung, dass während der kurzzeitigen, nur wenige zehn bis hundert Jahren dauernden, Austrocknungen des Chew-Bahir-Sees die Siedlungsaktivitäten in den angrenzenden äthiopischen Hochländern zugenommen haben. „Dies könnte daraufhin deuten, dass die damaligen Menschen in die kühleren und feuchteren Berge auswichen, und womöglich ihre Nahrungsbeschaffung kurzfristig ändern mussten.“ Als dieser wieder Wasser führte, könnten sie an den See zurückgekehrt sein.

Laut der Studie könnte erst eine über mehrere hunderte von Jahren dauernde Zeit klimatischer Instabilität in Richtung immer trockener werdenden Klimas zu einem kulturellen Umbruch führen, bei welchem ein Übergang von hauptsächlich Jägern und Sammlern zur sesshaften Viehhaltung vollzogen wurde. Umweltveränderungen als Stressfaktor und daraus resultierende Migration könnten also einen Rahmen gegeben haben, in welchem sich neue Verhaltensstrategien entwickelten.

Neben den anthropologischen Aspekten eröffnet die Studie auch einen Einblick in die klimatische, Zukunft Südäthiopiens. Die neuen Ergebnisse verdeutlichen die extreme Sensitivität Ostafrikas gegenüber Umweltveränderungen und die Bedeutung der Seen im Ostafrikanischen Grabenbruch als Verstärker dieser Klimasignale. Wo heute Wüsten sind, waren früher einmal große Seen und auch heutige noch vorhandene Seen könnten im Zuge des Menschen gemachten Klimawandels unter Druck geraten. „Die Menschen im Frühholozän zeigten eine beeindruckende Flexibilität in ihrem Verhalten und schafften es ihr Leben den neuen Umweltbedingungen anzupassen. Das gibt mir Hoffnung, dass es uns heute, im sogenannten Anthropozän, ebenfalls gelingt unser Verhalten zu ändern, um die menschengemachten Umweltveränderungen doch noch eingrenzen zu können“, schließt Fischer.

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Erstellt:
23.08.2020, 14:03 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 39sec
zuletzt aktualisiert: 23.08.2020, 14:03 Uhr

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