Tübingen · ISS

TAGBLATT-Podium zur Tübinger Innenstadtstrecke: Was ist bequem, was modern?

Zwei Mal vier Positionen gab es auf dem TAGBLATT-Podium zur Tübinger Innenstadtstrecke. Die Kontrahenten schenkten sich kaum Punkte.

17.09.2021

Von Mario Beißwenger

Tagblatt-Podium Regionalstadtbahn · Teil 1: Umfrageergebnis
10:27 min
Video: Bewegte Bilder

In der ersten Reihe im Sparkassen Carré beim TAGBLATT-Podium zur Innenstadtstrecke (von links): die Redakteure Sabine Lohr und Gernot Stegert. Dann leicht gemischt Gegner und Befürworter: Klaus Dieter Hanagarth, Ernst Gumrich (beide Nein), Martin Sökler (Ja), Thomas Helle, Reinhard von Brunn (beide Nein), Matthias Zenker, Franca Leutloff und Ludwig Schmitz-Salue (alle Ja). Bild: Anne Faden

In der ersten Reihe im Sparkassen Carré beim TAGBLATT-Podium zur Innenstadtstrecke (von links): die Redakteure Sabine Lohr und Gernot Stegert. Dann leicht gemischt Gegner und Befürworter: Klaus Dieter Hanagarth, Ernst Gumrich (beide Nein), Martin Sökler (Ja), Thomas Helle, Reinhard von Brunn (beide Nein), Matthias Zenker, Franca Leutloff und Ludwig Schmitz-Salue (alle Ja). Bild: Anne Faden

Die Umfragen stehen schlecht für die Innenstadtstrecke (ISS) der Regionalstadtbahn. Nach IHK und Handwerk sieht nun auch eine TAGBLATT-Umfrage die Gegner in der Mehrheit (siehe Seite 3). „Das hat keinen repräsentativen Charakter, aber es ist nicht nichts“, sagte Chefredakteur Gernot Stegert zu Beginn des Podiums (Besetzung siehe Infobox). Knapp 150 Besucher im Sparkassen Carré und 170 beim Livestream hörten sich die Debatte an.

Die Leistungsfähigkeit

50.000 Einpendler, 15.000 Auspendler, Modalsplit-Zahlen, Fahrgastzahlen für die ISS: Martin Sökler rollte zu Anfang die positiven Werte auf. Doch akzeptiert die Gegenseite diese Zahlen?

Thomas Helle nicht. „Die Zahlen werden nicht so hoch gehen“, war er sicher. Die Kontrahenten schenkten sich nichts, es gab auch Polemik. Eine Straßenbahn sei vor allem ein „Warmlufttransporter“, im Schnitt zu 18 Prozent gefüllt. Was Helle einräumte: „Das System hätte morgens und abends große Vorteile.“ Aber das funktioniere auch mit Bussen. „Wir müssen im Zweifel dann am Westbahnhof ein Parkhaus bauen.“

Umsteigen und Bequemlichkeit

Schmitz-Salue konnte als Rollifahrer für mobilitätseingeschränkte Menschen sprechen. „Ein Wechsel ist immer anstrengend“, war sein Argument für wenig Umstiege. Was er schon gar nicht hören konnte, war der Lob des Busses. „Im 5er kann man sich manchmal nicht bewegen.“

Hanagarth räumte ein, dass die Perspektive seines Gegenübers einsichtig sei. „Natürlich ist es schön, wenn man durchfahren kann.“ Aber es gebe 1000 andere Faktoren, die wichtig sind. Ob große Bahn oder langer Bus macht für ihn keinen Unterschied. Jedes Verkehrsmittel sei zu Hauptverkehrszeiten voll. Da gebe es zwischen Bahn und Bus keinen Unterschied.

Es ging im Detail um den Umsteigewiderstand und wie der zu bewerten sei, bei einem 5-Minuten-Takt vom Busbahnhof aus. Wie der Busverkehr ohne ISS genau aussieht, das kommt für Hanagarth noch. „Die Detaillierung, wird angegangen, wenn die Mehrheit mit nein gestimmt hat.“ Schmitz-Salue sah wohl auch dieses Ergebnis vor Augen. „Ich werd weiter davon träumen, dass eine Bahn fährt.“

Die Bahn für Region und Stadt

Was hat der Landkreis von einer ISS und was Tübingen, wollte Stegert wissen. Matthias Zenker zählte auf: weniger Autoverkehr, mehr Platz auf den Straßen, weniger Platz für Parkplätze. Der Druck auf den Tübinger Wohnungsmarkt sinkt, der Druck auf Autofahrer steige: „Die Menschen werden am effizientesten angeregt, ihr Auto stehen zu lassen.“

Reinhard von Brunn sah überwiegend Nachteile für die Region: Degradierung zu Schlafstadt, hohe Kosten und das alles wohl ohne Folgen für den Autoverkehr: „Wer garantiert uns, dass es keinen Stau mehr in Tübingen gibt? Wir wissen nicht, wie viele ihr Auto stehen lassen.“

Vorteile zu sehen, tat sich von Brunn schwer. Zenker wollte aber auch die Nachteile nicht sehen: „Wir sind ja nicht die erste Stadt, die eine Stadtbahn baut.“ Da könne er nicht nachvollziehen, dass die Gegenseite die Vorteile nicht nachvollziehen kann.

Von Brunn wagte Grundsatzkritik: „Wir können nicht unbegrenzt wachsen.“ Mit den Schienen, die Wachstum befördern, „tun wir Tübingen keinen Gefallen“. Besser sei ein Übergangssystem, das dann 2030 bis 2035 mit einem Bruchteil der Kosten von einem modernen System abgelöst werde. Das wären dann ganz moderne Lösungen. „Es ist ein Witz, wenn wir zum Cybervalley mit der Straßenbahn fahren.“ Dann kam schon die Sache mit dem CO2-Rucksack.

Die Stadt und die Baustellen

„Die Baustelle muss man nicht schön reden“, meinte Franca Leutloff. Aber es gehe um ein System, das den Autoverkehr ersetzt. Dafür sei die CO2-Last der Bauzeit gut eingesetzt. Für Ernst Gumrich geht die CO2-Bilanz aber lange nicht auf. Er setzt auf intelligente Transportsysteme „Wir werden wegkommen vom Auto. Das geht aber nicht, indem die Menschen auf die Tram umsteigen.“

Außerdem setzte er sich für den Handel ein. Eine große Baustelle würde der nicht überleben. „Damit machen wir die Altstadt kaputt.“ Die große Brückenbaustelle würde doch ohnehin kommen, meinte Leutloff. Nach Gumrichs Einschätzung hält die Neckarbrücke aber noch 200 Jahre, „wenn nur noch Räder oder Fußgänger drüber gehen“.

Blieb die Frage der Urbanität in Karl- und Mühlstraße und die schmale Passage für Radler. Für Gumrich würde eine Straßenbahn „das ganz Quartier entwerten“. Leutloff war pragmatisch. Idyllisch sei die Mühlstraße nicht gerade. Sie als Radlerin fühle sich an anderen Stellen in Tübingen auf dem Rad mehr eingeengt und überhaupt: „An diesen paar hundert Metern das Projekt scheitern zu lassen, das wäre wahnsinnig schade.“

Die Beteiligten und das Format

Vier Themenblöcke haben sich die TAGBLATT-Redakteure Sabine Lohr und Gernot Stegert rausgepickt fürs Pro und Contra der Tübinger Innenstadtstrecke – mit zwei Mal vier Initiativen-Vertreter je eine Viertelstunde lang.

Als Diskutanten waren in Zweierpacks dabei: SPD-Stadtrat Martin Sökler für den Verein Pro Regio Stadtbahn vs Thomas Helle, BI Nein zur Stadtbahn; Ludwig Schmitz-Salue von der BI Ja zur Stadtbahn vs Klaus Dieter Hanagarth (Tübinger Liste) für das Nein; Matthias Zenker von TüBiss vs TL-Stadtrat Reinhard von Brunn ebenfalls von der Nein-BI; Franca Leutloff von Fridays for Future vs TL-Stadtrat Ernst Gumrich wieder für die BI Nein zur Stadtbahn.

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Erstellt:
17.09.2021, 22:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 34sec
zuletzt aktualisiert: 17.09.2021, 22:30 Uhr

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