Katastrophen

Was bringen Warnungen?

Nach dem Hochwasser wird über frühere und präzisere Alarmsignale diskutiert. Aber wer erwartet wirklich eine Flut, wenn eine App surrt?

23.07.2021

Von DPA

Berlin/Potsdam. Wenn in Kriegsgebieten die Sirenen heulen, suchen die Menschen Schutz in Bunkern. Wenn in Deutschland Sirenen heulen, gehen die meisten wohl eher von einem Testlauf aus. Nun mag der Vergleich weit hergeholt klingen. Doch mehrfach wurden die Bilder von Trümmern und Kratern, die die Hochwasserfluten der vergangenen Tage hinterlassen haben, mit Überresten nach einem Krieg assoziiert.

Warum aber haben wohl die wenigsten mit einer Flutkatastrophe gerechnet, als die Warn-Apps in der vergangenen Woche auf den Smartphones surrten und Starkregen ankündigten. Warum gehen Leute noch eine Runde joggen, wenn Meteorologen vor Gewittern warnen? Frei nach dem Motto: Der Kelch wird schon an mir vorübergehen.

Aus Sicht von Ortwin Renn, Experte für Umwelt- und Risikosoziologie am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam, liegt das vor allem daran, dass Deutschland bisher weitgehend gut davongekommen ist, wenn es um Naturgefahren geht. Zwar bleiben Sachschäden, selten aber geht es um so viele Menschenleben. „Wir haben eine lange Erfahrung damit, dass es glimpflich ausgeht.“

Nun diskutiert die Politik darüber, ob früher und präziser gewarnt werden kann. Genau vorhersagen lassen sich örtliche Starkregenereignisse aber nicht. „Selbst mit der besten Meteorologie nicht“, betont Renn. „Eine etwas realistischere Einschätzung über Plötzlichkeit und Gewalt von Unwettern muss stärker ins Bewusstsein dringen.“

Risikokompetenz nennt das Gerd Gigerenzer von der Uni Potsdam, Gefahren gut einschätzen zu können, selbst wenn nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen. In seinem Buch „Risiko“ nennt er ausgerechnet Wetterberichte und dass viele nicht wüssten, wie sie Regenwahrscheinlichkeiten korrekt interpretieren müssen. Teils hätten Experten nie gelernt, Wahrscheinlichkeiten richtig zu erklären. Teils mangele es aber auch an der nötigen Ausbildung in den Schulen.

Risikokompetenz ist gefragt

Ähnlich argumentiert der Bildungsforscher Benedikt Heuckmann, der an der Uni Hannover zu Risikokompetenz bei Gesundheits- und Umweltthemen arbeitet. Wünschenswert wäre aus seiner Sicht, schon in Schulen würde ein kompetenter Umgang mit Risiken gelehrt.

Aber selbst wenn: Menschen ticken unterschiedlich. Die einen sind eher in Alarmbereitschaft, die anderen relaxter. Eigentlich müsste man sie unterschiedlich ansprechen, sagt Renn. Den einen klarmachen, dass auch sie von einem heftigen Unwetter getroffenen werden können. Den anderen, dass nicht jeder Regenschauer zu Hochwasser führt. Zumal zu viel Panik auch keine Lösung ist. Ohne die Annahme, dass die Katastrophe einen selbst nicht trifft, wären wir nicht handlungsfähig. Andersherum stumpften Menschen ab und gewöhnten sich an den Alarm, wenn ständig Warnungen gegeben werden.

Also düstere Aussichten? Umweltsoziologe Renn meint: „Je mehr die Hochwasserereignisse verblassen, desto eher werden wir wieder in alte Routinen übergehen.“ Er empfiehlt Übungen, „um uns wachzuhalten“. Viele wüssten gar nicht, dass man in einer solchen Situation zum Beispiel nicht unbedingt noch die Fotoalben im Keller ins Trockene bringen sollte. dpa

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Erstellt:
23.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 23.07.2021, 06:00 Uhr

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