Druck wird immer größer
Umwelt: Warum Nachhaltigkeit schwierig ist
Für manche Unternehmen ist es eine Selbstverständlichkeit – andere wollen von ökologischer Produktion wenig wissen. Doch der Druck von Politik, Gesellschaft und Kunden wird immer größer.
Ulm. Wer die Auswirkungen des Klimawandels sehen will, muss heute nicht mehr nach Asien schauen, sondern nur noch nach Rheinland-Pfalz. Entsprechend aktuell sind die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Manche Unternehmen haben damit schon vor vielen Jahren begonnen, manche starten erst jetzt und einige sehen die Notwendigkeit immer noch nicht ein, ergeben Umfragen.
Beim Technologiekonzern und weltgrößten Automobilzulieferer Bosch soll das Thema Nachhaltigkeit 2012 durch einen Vorschlag des Geschäftsführers richtig Fahrt aufgenommen haben. Volkmar Denner trat in diesem Jahr mit der Frage an seine Forscher heran, ob das Unternehmen nicht CO2-neutral gemacht werden könnte. Deren Antwort: nein. Zumindest nicht zu einem akzeptablen Preis.
Von dem Versuch Denners weiß man, weil die Nummer 1 bei Bosch mehrfach öffentlich davon erzählt hat. Und natürlich auch von der Fortsetzung. Denn der promovierte Physiker ließ nicht locker und erreichte sieben Jahre später sein Ziel. Als einer der ersten Technologiekonzerne ist Bosch nach eigenen Angaben seit Frühjahr 2020 mit allen weltweit 400 Standorten klimaneutral geworden. „Der Klimawandel wartet nicht“, sagte Denner bei einer Pressekonferenz. Bis zum Ende der Dekade will das Stiftungsunternehmen 2 Milliarden Euro in die Nachhaltigkeit investieren – und durch Einsparungen 1 Milliarde davon zurückgewinnen.
Bosch hat sich seine Klimaneutralität zertifizieren lassen. Nachhaltigkeit ist aber nicht klar definiert. So behaupten viele Unternehmen, umweltgerecht zu wirtschaften und legen entsprechende Berichte vor. Der Mineralölkonzern Shell wurde trotz Nachhaltigkeitsberichts gerichtlich verpflichtet, seinen Treibhausgasemissionen bis 2030 um netto 45 Prozent gegenüber dem Stand von 2019 zu reduzieren.
Experten schätzen den Anteil sozial-ökologisch ausgerichteter Unternehmen in Deutschland auf nur 10 Prozent. Gleichzeitig sagen 71 Prozent der Unternehmensleiter in einer Studie der Berater von Accenture aber, Unternehmen könnten einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten. Eine Glaubwürdigkeitslücke tut sich auf.
Besonders schwierig wird das Versprechen der Nachhaltigkeit, wenn die Zulieferer mit einbezogen werden. Die oft unter großem wirtschaftlichen und Konkurrenzdruck stehenden Unternehmen können oder wollen sich manchmal nicht ändern. Jeder dritte Automanager findet nach einer Umfrage der Beratung Deloitte, dass sich Produktion und Materialien schwer in Richtung Nachhaltigkeit lenken lassen. Der Druck von Politik, Öffentlichkeit, großen Investmentgesellschaften wie Blackrock, Autobauer und großen Zulieferer ist aber da. Für Svenja Schulze, Bundesumweltministerin werden in den nächsten Jahren „in erheblichem Umfang nachhaltige Investitionen nötig sein – in Infrastruktur, Anlagen und Technologien, aber auch in die Neuorganisation von Prozessen und in neues Wissen.“
In Deutschland haben neun von zehn Unternehmen der Automobil-Branche Nachholbedarf beim ökologisch nachhaltigen Wirtschaften, hat die Studie „Green Tranformation in der Automobilindustrie“ der Unternehmensberatung Staufen im vergangenen Jahr ergeben. 46 Prozent nennen „Druck vom Kunden“ als Haupttreiber für den grünen Wandel. Ein großes Hemmnis für mehr Nachhaltigkeit ist offenbar die fehlende wirtschaftliche Rentabilität ökologischer Maßnahmen.
Vor allem mittelständische Unternehmen stehen stark unter Druck, wie eine Studie des Kreditversicherers Euler Hermes herausgefunden hat. Danach sind 18 Prozent der mittelständischen Zulieferer in Deutschland gefährdet. Hinter vorgehaltener Hand wird von harten, manchmal arroganten Vertragsgesprächen berichtet. Extreme Qualitätsvorgaben, erwartete zeitliche Flexibilität, großer Preisdruck und schwankende Abnahmemenge machen den Zulieferer zu schaffen. Dagegen sei die Unterstützung bei Nachhaltigkeitsanstrengungen durch die Autofirmen meist klein. Offiziell loben die Autohersteller die „gute, manchmal jahrzehntelange Zusammenarbeit“. In der Pandemie sei Zulieferern mit schnellerer Bezahlung und Aufträgen geholfen worden, heißt es. Die Zulieferer sehen das anders und berichten von gestiegenen Anforderungen.
Der fünftgrößte Autozulieferer ZF will die Kohlendioxid-Emissionen bei seinen Zulieferern seinerseits bis 2030 im Vergleich zu 2019 um 40 Prozent drücken und selbst 80 Prozent weniger ausstoßen. Daimler kündigte „knallharte Vergabekriterien“ an und zeichnete gleichzeitig erfolgreiche Lieferanten für nachhaltige Produktion aus, etwa den Stahl-Hersteller Big River Steel.
Auch Bosch prämiert die Nachhaltigkeit seiner Lieferanten, hat 46 seiner weltweit 23?000 Zulieferer ausgezeichnet und will im kommenden Jahr CO2-Emission als Vergabekriterium einführen. Es wurde eine Beratungsgesellschaft gegründet, sagt Donya Amer, Vorsitzende von Bosch Climate Solutions. Ein Kunde ist die Prettl Group aus Pfulligen bei Stuttgart, die mit weltweit 42 Produktionsstandorten und rund 10?000 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von mehr als 1 Milliarde Euro erzielt und unter anderem in den Bereichen Auto, Energie und Elektronik aktiv ist. Deren Tochter Refu ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei der Produktion des Herzstücks einer Photovoltaikanlage, dem sogenannten Wechselrichter. Es entstand eine Strategie zur CO2-Reduktion, die Energieeffizienz und Grünstrom in den Mittelpunkt rückte.
Bosch erprobt bei Prettl, was im kommenden Jahr bei allen Zulieferern umgesetzt werden soll. Für Manuel Schmuker bringe dies „langfristig Vorteile“. „Jede Investition in die Zukunft kostet Geld, es trägt sich aber mittelbar“, sagt der Prettl-Vorstand. Kunden verlangten Nachhaltigkeit, auch Rating, Status und Bankkonditionen könnten damit zusammenhängen.
Bosch will ran an seine Wertschöpfungskette. Bis 2030 sollen die CO2-Emission der Zulieferer um 15 Prozent sinken. Das klingt nach wenig, für Amer sind die mehr als 60 Millionen Tonnen Kohlendioxid dagegen sehr viel. Nicht jeder Zulieferer sehe die Forderung von Bosch als Chance. Veränderung koste etwas, Nichtstun sei aber teurer, ist sie überzeugt.