Kanaren
Vulkan auf La Palma: Leben auf dem Pulverfass
Der Vulkan auf La Palma liefert schaurig-schöne Bilder. Für die Betroffenen ist er eine Katastrophe. Aber die Naturgewalten faszinieren auch.
Nichts bleibt von der vertrauten Umgebung, dem Zuhause, dem Ort, an dem die Menschen aufgewachsen sind, nur ein schwarze glühende Masse. „Stell dir vor, wie sehr es schmerzt zu sehen, dass der Ort, wo ich mein ganzes Leben verbracht habe, einfach verschwindet“, sagt Enrique González (46) dem staatlichen TV-Sender RTVE in La Laguna, während er Hausrat auf einen Laster lädt.
Angesichts der Bilder und des Leids wird leicht vergessen, dass es ohne die Vulkantätigkeit die Insel gar nicht geben würde und auch die anderen nicht, die bekannteren und bei Touristen wegen ihres milden Klimas beliebten Kanareninseln Teneriffa, Gran Canaria, Fuerteventura, Lanzarote und Gomera. Sie verdanken ihre Existenz rund 200 Kilometer westlich der Westküste Afrikas einem sogenannten Hotspot tief im Erdinneren, von dem aus punktuell Magma an die Oberfläche drängt. Im Laufe von Millionen Jahren wuchsen die Inseln aus dem Meeresboden empor.
Es locken die bizarren Landschaften früherer Vulkanausbrüche
Neben dem ganzjährig milden Klima locken auch die bizarren Landschaften früherer Vulkanausbrüche Touristen auf die Kanaren. Der wohl bekannteste Vulkan ist der 3715 Meter hohe Teide auf Teneriffa. Die wüstenähnliche Gegend rund um den höchsten Berg Spaniens wirkt wie eine Mondlandschaft. In Santa Cruz de Tenerife sonnen sich die Urlauber auf dem pechschwarzen Sand der Playa Jardin. Und auf Lanzarote ist der Lavatunnel von Janeos del Agua eine ebenso beliebte Touristenattraktion wie der farbige Berg Montaña Colorado.
Auch der Vulkan auf La Palma lockt schon Reisende an. Von Teneriffa aus werden per Schiff Tagestouren oder Übernachtungen auf der Vulkaninsel angeboten. Für die Menschen, die oft vom Bananenanbau lebten, könnte das eine neue Einnahmequelle sein.
Dass Vulkantourismus nicht ganz ungefährlich ist, zeigte jedoch das Unglück auf White Island vor der Küste von Neuseeland. Im Dezember 2019 war dort ein Vulkan plötzlich ausgebrochen, während gerade 47 Ausflügler auf der Insel waren. 22 von ihnen starben, die meisten Überlebenden wurden schwer verletzt. „Ein Vulkan schläft nie ganz, er kann jederzeit wieder aktiv werden“, sagt die Vulkanologin und Gründerin der Stiftung Volcano Active Foundation in Barcelona, Anne Fornier.
Trotz des heftigen Vulkanausbruchs auf La Palma ist dort bisher noch niemand ernsthaft verletzt worden. Das lag auch an einem Krisenplan der Inselregierung. Ältere und in ihrer Bewegung eingeschränkte Menschen waren vorsorglich schon kurz vor dem Ausbruch, der sich durch hunderte leichte bis mittlere Beben andeutete, in Sicherheit gebracht worden. Zudem waren die Bewohner gefährdeter Gebiete aufgerufen worden, Fluchtgepäck griffbereit zu haben. Große Hilfsbereitschaft und Soforthilfen in Millionenhöhe des Staates linderten die größte Not der bisher 7000 Evakuierten.
Dennoch hätten die Menschen das von dem Vulkan ausgehende Risiko wohl etwas unterschätzt, sagt Fornier. „Der Vulkan liegt in derselben Region der Insel, wo erst vor 50 Jahren der Teneguía ausgebrochen war. Und davor spie der Vulkan San Juan 1949 fast an derselben Stelle wie heute große Mengen Lava aus“, gibt sie zu bedenken. „Man muss schon fragen, warum dort im Tal von Aridane so viele Baugenehmigungen erteilt wurden.“
Auch 1949 ließ die Lava neues Land vor der Küste entstehen. Dort finden sich heute einige der ertragreichsten Bananenplantagen, die nun zum Teil gerade wieder zerstört werden. „Das ist einer der Gründe, warum Menschen trotz der Risiken in der Nähe von Vulkanen leben“, sagt Fornier. Denn Vulkanasche ist sehr fruchtbar.