Mössingen

Vortrag über Meinungsfreiheit: Haltung gegen Hetze

TAGBLATT-Redakteur Jonas Bleeser sprach in Mössingen über Meinungsfreiheit – und darüber, wie sie von manchen missbraucht wird.

06.10.2021

Von Jacqueline Schreil

„Das Recht zur freien Meinungsäußerung beinhaltet auch, dass man dafür kritisiert werden kann“, weiß Jonas Bleeser. Bild: Uli Rippmann

„Das Recht zur freien Meinungsäußerung beinhaltet auch, dass man dafür kritisiert werden kann“, weiß Jonas Bleeser. Bild: Uli Rippmann

Meinungsfreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Was aber, wenn sie jemand nur vorschiebt, um Hass und Hetze zu verbreiten? Was ist erlaubt und was überschreitet Grenzen? Die Antworten darauf sind gar nicht so einfach – und wie Gerichtsurteile zeigen, gibt es auch sehr unterschiedliche Auslegungen.

TAGBLATT-Journalist Jonas Bleeser bekommt als Gerichtsreporter und Online-Redakteur nur zu gut mit, wie Menschen regelmäßig Grenzen überschreiten: „Das passiert im Internet ständig. Es wird irrsinnig viel beleidigt und gehetzt.“ Bleeser sprach am Dienstagabend als Gastreferent beim Ökumenischen Stammtisch in Mössingen zum Thema „Missbrauch der Meinungsfreiheit – und wie man sich wehren kann.“

Eine staatliche Zensur gebe es in Deutschland definitiv nicht, so der 46-Jährige. Er ergänzte allerdings: „Es gibt natürlich eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, und die wird durch Recht und Gesetz definiert.“ Andere in deren Persönlichkeitsrechten zu verletzen, sie zu beleidigen und zu bedrohen, ist also verboten. „Eine Meinung darf jeder haben. Es wird aber interessant, wenn man sie äußert.“

Bleeser hatte nicht nur Begriffsklärungen und gesetzliche Grundlagen mitgebracht, sondern auch Fälle aus dem echten Leben. Zum Beispiel den sogenannten Pegida-Galgen, als ein Mann 2015 bei einer Demonstration einen Galgen bei sich trug, auf dem nicht nur das Wort „Volksverräter“ zu lesen war, sondern auch Platzhalter für „Siegmar ,das Pack‘ Gabriel“ und „Angela ,Mutti‘ Merkel“ angebracht waren. „Ist das von der Meinungsfreiheit gedeckt oder ist das Missbrauch?“, wollte Bleeser von seinem Mössinger Publikum wissen. Die Antwort fiel eindeutig aus: Missbrauch. „Ich empfinde das als klare Morddrohung“, ließ Bleeser auch seine eigene Meinung sichtbar werden. Allerdings: „Die Ermittlungen wurden eingestellt.“ Der Galgen war in den Augen der Staatsanwaltschaft mehrdeutig interpretierbar.

Wie uneinheitlich das Thema Meinungsfreiheit ausgelegt wird, zeigte Bleeser anhand unterschiedlicher Gerichtsurteile zur Verwendung von Davidsternen, auf denen etwa das Wort „ungeimpft“ zu lesen ist. Das OLG Saarbrücken urteilte im März, das erfülle nicht den Tatbestand der Volksverhetzung. Das Berliner Amtsgericht urteilte hingegen im September in einem anderen Fall, so etwas verharmlose den Holocaust und sei Volksverhetzung.

In lokalen Prozessen um Online-Hetze habe er bislang ausschließlich Männer als Angeklagte erlebt, die meistens auch erst einmal uneinsichtig gewesen seien, so der Gerichtsreporter. Die Urteile des Tübinger Amtsgerichts für die Männer, die sich rassistisch und antisemitisch verhalten hatten, reichten von Geldstrafen bis hin zu Bewährungsstrafen. Wichtig sei vor allem: „Alle diese Menschen sind von jemandem angezeigt worden.“

Er habe kein Patentrezept, wie man sich gegen Hetze wehrt, so Bleeser. Ein paar Tipps lieferte er aber doch: Hetze im Netz kann man kostenlos melden, etwa bei der Meldestelle des Demokratiezentrums Baden-Württemberg (https://demokratiezentrum-bw.de/meldestelle-respect/). Nicht nur online sei es wichtig, Hassrede entschieden entgegenzutreten – auch wenn es manchmal anstrengend sei: „Das beste Mittel für die Meinungsfreiheit ist, wenn man sie selbst nutzt. “

Nicht nur aus einer Perspektive

Jonas Bleeser (46) ist Redakteur beim Schwäbischen Tagblatt. Er betreut dort nicht nur das Justizressort als Gerichtsreporter, sondern ist auch Teil der Online-Redaktion. Die Themen „Hass und Hetze im Netz“ und „Missbrauch der Meinungsfreiheit“ kennt Bleeser somit aus mehreren Perspektiven.

Den Ökumenischen Stammtisch gibt es in Mössingen seit 1977, in der Regel einmal im Monat. Das Format will für alle offen sein und sich nicht auf einen geschlossenen Teilnehmerkreis beschränken. Im Mittelpunkt soll der gedankliche Austausch mit anderen Menschen stehen.

Der nächste Termin ist am 15. November: Unter dem Thema „Friedensgeschichten auf dem Teppich“. Im Rahmen der Friedensdekade erzählt Verena Nerz aus Reutlingen Geschichten über Friedensarbeit. Dazu spielt sie mittelalterliche Weisen auf alten Instrumenten wie etwa dem Krummhorn.

Am 7. Dezember geht es mit dem gemeinsamen Abendmahl im Advent weiter, und am 11. Januar folgt die Jahreslosung für das Jahr 2022. Für den 1. Februar ist ein Abend zum Thema „Leben mit Hölderlin“ angekündigt, angeleitet von Albrecht Esche, Pfarrer im Ruhestand.

Die Termine des ökumenischen Formats beginnen jeweils um 20 Uhr im katholischen Gemeindehaus in Mössingen (Freiherr-vom-Stein-Straße 24).

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Erstellt:
06.10.2021, 21:59 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec
zuletzt aktualisiert: 06.10.2021, 21:59 Uhr

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