Tübingen · OB-Wahl

Morddrohung gegen Boris Palmer: „Was für ein widerlicher Hass!“

Amtsinhaber Boris Palmer macht vier Tage vor der OB-Wahl in Tübingen eine Morddrohung gegen ihn öffentlich – und erhält Solidarität auch von den anderen Kandidatinnen.

20.10.2022

Von Moritz Hagemann

„Was treibt diese Leute?“, fragt Boris Palmer. Bild: Ulmer

„Was treibt diese Leute?“, fragt Boris Palmer. Bild: Ulmer

Eine E-Mail voll von Hass, Beleidigungen, rassistischen und antisemitischen Äußerungen: Die Zuschrift, die Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer am Donnerstag von einem unter falschem Namen angelegten Account erhalten und über die sozialen Kanäle öffentlich gemacht hatte, schockiert.

Sollte er nicht freiwillig von seinem Vorhaben abrücken, zum dritten Mal Oberbürgermeister von Tübingen werden zu wollen, „müssen wir Dich leider töten!“, heißt es darin beispielsweise. Auch Sätze wie „Du wirst bald sterben!“ oder „Du wirst unser erstes Opfer werden, aber nicht unser letztes!“ sind Teil der verstörenden Zuschrift, in der Palmer unter anderem als „ekelerregender und widerwärtiger Untermensch und Jammerjude“ beschimpft wird. Palmer kommentierte zunächst nur: „Was treibt diese Leute?“

Nächste Zuschrift am Freitag

Am Freitagmittag dann postete Palmer eine erneute Zuschrift, in der wieder als „dreckiger Jude“ bezeichnet wird. Dort heißt es: „Wir warnen Dich ein letztes Mal!“ Sein Großvater sei Jude gewesen und mit der Familie 1936 geflohen, erklärte Palmer daraufhin. Weder er noch sein Vater hätten ihn jedoch kennengelernt.

Anfeindungen gegen Tübingens oft polarisierenden OB sind keine Seltenheit. Schon mehrmals machte Palmer diese öffentlich. Aber eine konkrete Morddrohung? „Das gab es die letzten Jahre immer mal wieder, vielleicht 20 Mal“, sagte Palmer auf TAGBLATT-Nachfrage „aus dem Bauch heraus“.

Der Staatsschutz kümmere sich, so Tübingens OB. „Bislang ist die Einschätzung nicht so, dass ich Personenschutz brauche“, erklärte Palmer. „Da verlasse ich mich drauf.“ Doch ein mulmiges Gefühl bleibt: „Man weiß nicht, ob nicht doch mal einer mit dem Messer dasteht“, sagte der OB.

In den Kommentarspalten der sozialen Medien reagierten viele Nutzerinnen und Nutzer fassungslos und rieten Palmer umgehend dazu, die Polizei einzuschalten und Anzeige zu erstatten. Doch die Erfolgsquote nach Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft sei in solchen Fällen mit unbekanntem Absender gering, sagte der 50-Jährige. Die Ermittler seien bereits eingeschaltet.

„Wir dürfen ein solches Verhalten nicht akzeptieren. Die Strafverfolgungsbehörden müssen sich hier jetzt schnell und intensiv an die Arbeit machen, damit der Absender ausfindig gemacht werden kann“, kommentierte am Freitag Ulrike Baumgärtner (Grüne) in einer Pressemitteilung. Sie tritt am morgigen Sonntag vor allem gegen Palmer und Sofie Geisel (SPD) bei der OB-Wahl an.

Auch Geisel meldete sich zu Wort: „Wir haben in den letzten Monaten einen fairen und sachorientierten Wahlkampf um die besten Ideen für die Zukunft Tübingens geführt. Hass, Hetze und Antisemitismus haben hier keinen Platz – weder im Wahlkampf noch in der Stadtgesellschaft.“ Baumgärtner nannte die Zuschrift „zutiefst verabscheuungswürdig“, Bedrohungen, Beleidigungen und Nazisprech „haben keinen Platz in unserer Gesellschaft“. Geisel zeigte sich „entsetzt“ und findet die Mail-Inhalte „schockierend“.

Auch in den sozialen Medien erhielt Palmer viel Zuspruch: „Grauenhaft. Volle Solidarität!“, schrieb die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Kliche-Behnke. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Christopher Gohl (FDP) befand: „Was für ein widerlicher Hass!“

Etwa fünf Prozent erwischt

Alleine nach Palmers Aussage im Sat.1-Frühstücksfernsehen zu den Älteren und den Corona-Maßnahmen im Jahr 2020 waren im Rathaus mehrere tausend Mails, Briefe und Karten eingegangen. Die Staatsanwaltschaft Tübingen hatte damals rund 180 Ermittlungsverfahren eingeleitet, über die Jahre sammelten sich mehrere hundert Anzeigen.

Was ist daraus geworden? „Etwa fünf Prozent der Anzeigen waren erfolgreich“, sagte Palmer. In den allermeisten Fällen habe die Stadt einem Vergleich zugestimmt, wonach die Verfasserinnen und Verfasser beispielsweise 200 Euro an eine Einrichtung wie das Tübinger Hospiz bezahlen mussten.

Palmer darf zur Wahl aus der Isolation

Vor einer Woche wurde Boris Palmer positiv auf das Coronavirus getestet, der Wahlkampf war damit für ihn beendet (wir berichteten). Inzwischen sei er negativ, sagte Palmer am gestrigen Freitag, aber noch „ein bisschen platt“. Damit dürfe er die Isolation pünktlich zur Wahl am Sonntag verlassen. Um 18 Uhr schließen am Sonntagabend die Wahllokale, gegen 19 Uhr will der Erste Oberbürgermeister Cord Soehlke das Endergebnis verkünden.

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Erstellt:
20.10.2022, 21:31 Uhr
Aktualisiert:
21.10.2022, 12:33 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 21.10.2022, 12:33 Uhr

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