Leid als schöpferische Quelle

Vor 100 Jahren wurde Ingmar Bergmann geboren

Manche Menschen zerbrechen an dem Konflikt mit ihrem Vater. Dem vor 100 Jahren geborenen Ingmar Bergman aber lieferte er den Stoff für unzählige große Filmwerke.

14.07.2018

Von Anselm Verbeek

Ingmar Bergman mit seinem Hauptdarsteller und langjährigen Freund Erland Josephson am Set von „Fanny und Alexander“ (1982). Die Bergman-Fotos sind aus dem wundervollen Band „Das Ingmar Bergman Archiv“ (Taschen Verlag, 452 Seiten, 60 Euro).?Foto: Arne Carlsson

Ingmar Bergman mit seinem Hauptdarsteller und langjährigen Freund Erland Josephson am Set von „Fanny und Alexander“ (1982). Die Bergman-Fotos sind aus dem wundervollen Band „Das Ingmar Bergman Archiv“ (Taschen Verlag, 452 Seiten, 60 Euro).?Foto: Arne Carlsson

Noch im Alter fühlte sich Ingmar Bergman als kindliches Opfer der repressiv-autoritären Erziehung seines Vaters. Er fühlte sich wie Isaak, den sein Vater, der Patriarch Abraham, beinah seinem missverstandenen Gott "geopfert" hätte, wie Bergman in seiner Autobiografie festhielt. Vor 100 Jahren, am 14. Juli 1918, wurde der Drehbuchautor, Film- und Theaterregisseur im schwedischen Uppsala geboren.

Der Vater-Sohn-Komplex zieht sich durch das ganze riesige Lebenswerk: Kino- und Fernsehfilme, Hörspiele, Romane, Dramen, Drehbücher und Theateraufführungen. Über sie ging ein Regen von Ehrungen nieder: Goldene Palmen, Löwen, Bären und Oscars. Vielleich eine späte Genugtuung für eine Kindheit, die materiell bestens gesichert war, aber seelisch zur Qual wurde. Das Urvertrauen zwischen dem strengen Hofprediger Eric Bergman in Stockholm und seinem Sohn Ingmar ging zu Bruch - und mit dem Vater- auch das Gottesbild.

Ingmar begehrte früh auf. Als Knabe im Matrosenanzug verweigerte er das Spiel mit Kriegsschiffen. Stockschläge oder Isolation in dunkler Dachkammer beantwortete er mit Flucht in die Fantasie. Zum Spielzeug wurden Filmprojektor und Puppenbühne.

Nach einem Streit mit dem Vater verließ er früh das Elternhaus. Zielstrebig suchte er den Einstieg ins Theater und die noch junge Filmbranche. Bald waren auch seine Drehbücher gefragt, in denen der Konflikt der Generationen ausgetragen wird: Schüler kämpfen gegen sadistische Lehrer, junge Paare gegen die Übergriffe einer feindlichen Umwelt. "Mein Aufruhr gegen die bürgerliche Gesellschaft - das war der Aufruhr gegen den Vater", hat Bergman seine frühen Filme beurteilt.

In den 1950er Jahren machte er sich einen Namen als Meister der Perspektive von Frauen, die ihren Männern überlegen sind. Mit "Das Lächeln einer Sommernacht" (1955) gelang ihm der internationale Durchbruch. Der Film folgt dem emanzipatorischen Muster dominanter Frauen: Männer mit Imponiergehabe werden entlarvt; Widersprüche lösen sich in Heiterkeit auf. Hollywood-Angebote hat Bergman stets ausgeschlagen. Nur der schwedische Fiskus hat ihn später zur zeitweisen Emigration nach Deutschland bewegen können.

Auch wenn er die Gottesfrage für sich verneinte, hat er zeitlebens nach den Spuren des Religiösen gesucht. In "Gefängnis" (1949) stellen Menschen, gefangen im Hamsterrad ihrer Existenz, die Frage nach dem Sinn des Lebens. In "Das siebente Siegel" (1957) kehrt ein Kreuzritter in seine Heimat zurück, wo die Pest wütet. Knapp umriss Bergman das Thema: "Der Mensch, seine ewige Suche nach Gott und dem Tod als einziger Sicherheit".

"Wie in einem Spiegel" (1961) ist der Auftakt zu Bergmans berühmtester religiöser Filmreihe. Der Titel erinnert an das biblische Hohelied der Liebe: Der Mensch kann nur "rätselhafte Umrisse" wie in einem Spiegel schauen, im Jenseits aber "von Angesicht zu Angesicht". "Licht im Winter" (1962) zeigt den Arbeitstag eines ausgebrannten Landpfarrers mit dem beziehungsreichen Namen Tomas, der mit der Liebe zu den Menschen auch seinen Glauben an Gott verloren hat.

"Das Schweigen" (1963) beendet Bergmans Trilogie. Zwei Frauen mit Kind müssen eine Bahnreise unterbrechen, als die ältere erkrankt. Im verlassenen Grand Hotel finden sie Unterkunft in einer Stadt, deren Sprache sie nicht verstehen. Die schauspielerische Leistung wird Bergmans Anspruch glänzend gerecht, dass ein Film "seelische Zustände vermitteln" soll. Die Sinnleere hat der Künstler in sexueller Befriedigung ohne Liebe, Nikotin- und Alkoholsucht angedeutet. Der Skandal war riesig - der Kassenerfolg auch.

Seine Kindheit hat Bergman in "Fanny und Alexander" (1982) zum Musterfall einer verkorksten autoritären Erziehung gemacht. Sein berühmtestes Werk aber sind die "Szenen einer Ehe" (1973), mit denen er das Fernsehen eroberte. Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde Bergman 1997 als "Bester Filmregisseur aller Zeiten" geehrt. Er war in fünf Ehen verheiratet, pflegte Liaisons mit Schauspielerinnen, zeigte aber auch Verantwortung für seine neun Kinder. Ingmar Bergman starb am 30. Juli 2007 auf der Insel Faro.

Bergman gibt im Foyer des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm 1996 den Clown.?Foto: Bengt Wanselius

Bergman gibt im Foyer des Königlichen Dramatischen Theaters in Stockholm 1996 den Clown.?Foto: Bengt Wanselius

Bergman probt mit Liv Ullmann, die lange Jahre seine Muse war, bei den Dreharbeiten zu „Persona“ (1968).?Foto: Lennart Nilsson

Bergman probt mit Liv Ullmann, die lange Jahre seine Muse war, bei den Dreharbeiten zu „Persona“ (1968).?Foto: Lennart Nilsson

Meisterwerke im Fernsehen

Regisseur Der schwedische Filmemacher Ingmar Bergman wäre heute 100 Jahre alt geworden. Daher zeigt 3sat um 20.15 Uhr das Porträt „Ingmar Bergman – Herr der Dämonen“ in Erstausstrahlung und im Anschluss um 21.15 Uhr sein Meisterwerk „Szenen einer Ehe“. Auf Tele 5 laufen heute Abend nacheinander drei große Bergman-Filme: „Das siebente Siegel“ (20.15 Uhr), „Wilde Erdbeeren“ (21.45) und „Das Schweigen“ (23.15). Am Sonntagabend zeigt Tele 5 um 20.15 Uhr das vielfach ausgezeichnete Familiendrama „Fanny und Alexander“.