Stimmen zur US-Wahl aus der Region

Von links bis rechts: Glücklich ist niemand über Trump

Wie Politiker, Amerikaner, Studierende und Wirtschaftsvertreter in der Region die überraschende Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sehen.

09.11.2016

Von ran / slo / dem / uja / koe

Die Flagge der USA auf dem Campus der Universität in Tübingens Partnerstadt Ann Arbor windet sich. Bild: Metz

Die Flagge der USA auf dem Campus der Universität in Tübingens Partnerstadt Ann Arbor windet sich. Bild: Metz

Das Ergebnis der US-Wahl mag enttäuschen, aber es ist zu akzeptieren. Wichtiger denn je sind nun ein kühler Kopf und die Frage, was wir daraus lernen können“, sagt die CDU-Bundestagsabgeordnete Annette Widmann-Mauz. „Bei den Wahlen stand die Sehnsucht vieler Amerikaner nach wirtschaftlicher und sozialer Stabilität und Sicherheit im Zentrum, aber auch die Unzufriedenheit mit einer politischen Kultur, von der sich viele nicht mehr repräsentiert fühlen. Dass das einflussreichste Land der Welt nun von einem Präsidenten geführt wird, der sich bisher durch einen launenhaften Politikstil ausgezeichnet und sein eigenes Land noch tiefer gespalten hat, beschäftigt mich sehr.“ Und weiter: „Geopolitisch scheint die Lage unsicherer zu werden. Mit Blick auf Osteuropa und den Nahen Osten ist es umso wichtiger, dass Deutschland weiterhin eine partnerschaftliche, vertrauenswürdige und wertegeleitete Außenpolitik verfolgt und Europa Geschlossenheit zeigt. Ich hoffe, dass Donald Trump den Wert dieser gewachsenen Freundschaft zwischen den westlichen Demokratien dies- und jenseits des Atlantiks erkennt. Dazu gehört auch der enge wirtschaftliche Austausch, von dem unsere Länder maßgeblich profitieren.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann analysiert zunächst die Wahl: „Trump hat überall in den Swing-States gewonnen. Möglicherweise hat er sich stärker auf sie konzentriert als Clinton, die vielleicht zu sorglos war. Auffällig ist, dass er in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, Staaten mit klassischen Arbeiterschichten, gepunktet hat.“ Was bedeutet die Wahl für Deutschland nun? Rosemann: „Es muss uns eine Warnung sein, dass es eine Anfälligkeit gibt für einfache Antworten und populistische Thesen. Dieses Problem haben wir in Teilen Deutschlands und Europas auch. Darauf muss sich auch die SPD einstellen.“ Was die Folgen von Trumps Wahlsiegs sein werden, lasse sich noch nicht sagen. Zunächst sei eine gewisse Unberechenbarkeit zu befürchten, was in internationalen Beziehungen problematisch sei. „Es gibt jetzt eine große Unsicherheit, was etwa den Syrienkonflikt oder das Verhältnis zu Russland angeht. Wir müssen uns in Europa und Deutschland darauf einstellen, gegenüber den USA selbstbewusster auftreten zu müssen. Ich habe die Sorge, dass auch so etwas wie das Weltklimaabkommen in Gefahr gerät. Man kann nur hoffen, dass die von der Vorgängerregierung getroffenen Abkommen eingehalten werden.“

Chris Kühn, Bundestagsabgeordneter der Grünen, führt Trumps Wahlsieg „auf ein gespaltenes Land und eine gespaltene Gesellschaft“ zurück. Das Ergebnis sei „ein Aufschrei der Abgehängten, für die es schon lange keine Option mehr ist, zur Mittelschicht zu gehören, und die glauben, dass sie in den letzten Jahren vergessen worden sind. Dieses Gefühl hat Trump kanalisiert.“ Trump sei jetzt der gewählte Präsident, man müsse mit ihm weiterarbeiten. „Man kann nur hoffen, dass er sich an getroffene Abkommen hält, etwa das beim Welt-Klimagipfel in Paris. Das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA war immer sehr eng. Wir brauchen die USA, auch beim Klimaschutz.“

Tübingens Linke Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel konnte Anfragen zur Wahl gestern nur schriftlich beantworten. Sie war erkrankt. Trumps Sieg, meinte sie mit leichter Ironie, „hat mir die Stimme verschlagen“. Sie selbst habe den Sieg des Milliardärs aber nicht für ausgeschlossen gehalten, „da Clinton für viele keine neue Hoffnungsträgerin darstellte“. Dass die Demokraten Bernie Sanders nicht zum Zug kommen ließen, sei jedenfalls ein Fehler gewesen. In der Außenpolitik habe sich Trump immerhin „deutlich weniger aggressiv gezeigt als Clinton“. Allerdings sei er unberechenbar. Generell findet Hänsel, dass die Bundesregierung den Wahlausgang respektieren sollte und „mögliche positive Impulse, zum Beispiel in Richtung Russland, auf alle Fälle unterstützen“.

„Man muss, wenn man Demokratie ernst nimmt, auch einen solchen Ausgang akzeptieren, wenn auch mit erheblichen Bauchschmerzen“, sagt Horst Speichert, Sprecher der „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (Alfa) in Baden-Württemberg. Für Europa bedeute Trumps Wahlsieg vor allem eine außenpolitische Unsicherheit. „Er kann Kriege beginnen ohne die Zustimmung des Parlaments.“ Außerdem befürchtet Speichert, dass der TTIP-Gegner Trump das Freihandelsabkommen nun vollends zum Erliegen bringt. „Er wird ein extremer Verhandlungspartner sein, denn der Faktor der Berechenbarkeit fehlt.“

„Meine Sorgen wären mit einer Präsidentin Clinton auch nicht kleiner gewesen“, sagt Stephan Eissler, Vorstandsbeisitzer im Kreisverband der AfD. Er glaubt, die „übergroßen Befürchtungen“, die man hier mit Trump verbinde, würden ebenso enttäuscht werden wie die übergroßen Erwartungen, die man an Präsident Obama gehabt habe. Befürchtungen habe er allerdings auch: „Unser Außenminister hat Trump einen Hassprediger genannt – da frage ich mich schon, wie sich das jetzt auf die Beziehungen zwischen den USA und Deutschland auswirkt.“ Eissler war zwar gestern „ein Stück weit überrascht“ – diese Überraschung habe ihn aber nachdenklich gestimmt, denn sie sei davon gekommen, dass „sämtliche Medien den Weltuntergang prognostiziert haben, wenn Trump gewinnt“. Eissler vermute, dass die Wahlbeteiligung recht hoch war, denn Trump habe vor allem diejenigen, die sich von der Politik längst verabschiedet hätten, an die Urnen gebracht.

Mit Barack Obamas zuversichtlicher Einstellung „Die Sonne geht wieder auf“ hält es Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Er könne zwar, sagt er, alle Sorgen und Bedenken teilen, er habe sie selber. Aber: „Trump ist wahrscheinlich nicht verrückt. Er kann sich wandeln. Vieles von dem, was er gesagt hat, kann auch einfach Wahlkampf-Provokation gewesen sein.“ Palmer sind nun die Suche nach den Ursachen und die Folgerungen für Europa wichtig: „Wie geht man mit denen um, die den Sprung in die moderne Urbanität nicht geschafft haben?“ fragt er und gibt gleich die Antwort darauf: „Man muss mit ihnen respektvoll und tolerant umgehen.“ Trump habe die Frustrierten zur Urne getrieben – weil sie sich nicht ernst genommen fühlten.

Die IHK Reutlingen erhofft sich vom neuen Präsidenten, dass er in der Tradition seiner Vorgänger das transatlantische Verhältnis pflege. „Unsere Firmen sind auf gute politische Beziehungen angewiesen“, sagt Präsident Christian Erbe. Die USA seien der wichtigste Handelspartner heimischer Betriebe: Knapp 400 Firmen aus der Region Neckar-Alb unterhalten derzeit regelmäßige Geschäftsbeziehungen in die USA, zum Teil auch mit eigenen Niederlassungen oder Produktionsstätten. Baden-württembergische Firmen hätten 2016 im ersten Halbjahr 11,3 Milliarden Euro im Geschäft mit den USA umgesetzt.

„Beide Seiten sind aus meiner Sicht gut beraten, den Freihandel zu stärken. Er war immer Garant für wirtschaftliches Wachstum. Davon profitiert am Ende auch die Region Neckar-Alb“, so Erbe.

Überrascht und schockiert zeigten sich zwei Dutzend Studierende, die auf Einladung der Liberalen Hochschulgruppe im Saints & Scholars Irish Pub mit dem Amerikanisten Thomas Gijswijt und dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter am Weltethos-Institut und FDP-Bundestagskandidaten Christopher Gohl über den Wahlausgang diskutierten. Noch wirke die Nachricht von Trumps Sieg „surreal“, meinte etwa Till Lentze. „Ich habe nicht damit gerechnet, aber der Brexit hat gezeigt, was alles passieren kann.“ Der 23-Jährige befürchtet, dass Trump vieles von dem rückgängig machen werde, was Obama erreicht habe.

Gijswijt hat Sorge, dass Trumps Wahlsieg auch den Rechten in Europa Aufwind verleihen werde, beispielsweise dem Front National in Frankreich. „Ich bin um 4 Uhr ins Bett gegangen und um 7 Uhr in einem Alptraum aufgewacht“, so Gijswijt. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein offener Rassist, Frauenfeind und Lügner Präsident werden kann.“

Mit seiner Mischung aus Desinformation, Hetze gegen Minderheiten und kruden Verschwörungstheorien habe Trump sich als „Proto-Faschist“ erwiesen.

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Erstellt:
09.11.2016, 19:30 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 03sec
zuletzt aktualisiert: 09.11.2016, 19:30 Uhr

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