Einrichtungen der AWO · Täglich frische Blumen

Von der Notübernachtungsstelle zum Elisabeth-Zundel-Haus bis zum Tagescafé · Ein Rundgang

Vor einer Handvoll Interessierter erklärt der Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt, Sebastian Weigle, warum man sich entschlossen habe, die Einrichtungen gelegentlich der Öffentlichkeit zu präsentieren: „Wir wollen zeigen, was die AWO macht.“

06.11.2017

Von Uschi Kurz

Die AWO-Sozialarbeiterin Heike Hein zeigt eines der Vier-Bett-Zimmer in der Notübernachtungsstelle in der Glaserstraße.Bild: Haas

Die AWO-Sozialarbeiterin Heike Hein zeigt eines der Vier-Bett-Zimmer in der Notübernachtungsstelle in der Glaserstraße.Bild: Haas

Der Rundgang heute beginnt dort, wo der Tag für manchen Wohnungslosen endet: In der Notübernachtungsstelle Glaserstraße 5.

Zwölf Plätze für Männer und vier für Frauen gibt es dort, jeweils in Vier-Bett-Zimmern. Wer übernachten möchte, muss sich zwischen 18 und 22 Uhr in der Glaserstraße einfinden. Danach ist die Tür zu und normalerweise wird dann niemand mehr aufgenommen. Die Betten sind fast immer belegt. Im Winter, erzählt der Nachtdienst-Mitarbeiter Carlo Schmid, seien die Regeln aber etwas aufgeweicht. „Für eine Nacht findet sich immer eine Lösung.“ Notfalls auf einer Matratze im Abstellraum.

Sozialarbeiter Gert Auer ist seit 31 Jahren bei der AWO in Reutlingen beschäftigt. Seither, sagt er, habe sich das Klientel verändert. Die Rucksacktouristen sind in den Großstädten sesshaft geworden: „Viele reisen nicht mehr.“ In der Notübernachtungsstelle gibt es klare Regeln: Alkohol und Drogen sind zwar im Haus verboten, aber viele kommen angetrunken. Für sie birgt der enge Altbau eine nicht zu unterschätzende Hürde: Sie müssen selbstständig die steilen Treppen raufkommen.

Viele der Männer und Frauen sind psychisch auffällig, manche haben ein großes aggressives Potenzial. Trotzdem, berichten die beiden Nachtdienstmitarbeiter Sylvia Bird und Carlo Schmid, laufe in der Regel alles friedlich ab. Abends gibt es etwas zum Essen, danach kann im Aufenthaltsraum gespielt oder Fernsehen geschaut werden. Um 7.30 Uhr werden die Gäste geweckt und das Haus geöffnet. Manche kommen dann von außen zum Kaffeetrinken. Spätestens um 12 müssen alle die Notübernachtungsstelle verlassen. Bis es oft am Abend ein Wiedersehen gibt.

Natürlich soll die Übernachtung in der Glaserstraße nicht zum Dauerzustand werden, sagt Heike Hein, die mit Auer in der AWO-Fachberatungsstelle in der Rommelsbacherstraße arbeitet. Die Sozialarbeiter sind bemüht, für ihre Klienten möglichst rasch eine dauerhafte Bleibe zu finden. Doch nicht alle sind begeistert, wenn es endlich klappt. Auer: „Es kommt schon auch vor, dass jemand gar nicht mehr raus will.“ Vor allem Männer haben Angst vor der Einsamkeit.

Weniger Probleme, wieder selbstständig zu leben, haben Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen plötzlich auf der Straße sitzen. Für sie ist das Elisabeth-Zundel-Haus, das die AWO Ende 2010 eröffnet hat, eine ideale Adresse. Im Erdgeschoss des Hauses in der Färberstraße ist die Fachberatungsstelle für Frauen in Wohnungsnot. Im ersten Stock wohnen fünf Frauen in einer Wohngemeinschaft, unter dem Dach gibt es zwei abgeschlossene Apartments für ambulantes betreutes Wohnen. Dort können zwei Frauen im geschützten Rahmen bis zu zwei Jahre wohnen. Der einzige Wermutstropfen: Die Plätze sind ständig belegt, die Warteliste ist lang. Was Sozialarbeiterin Julia Schäfer zudem große Sorgen bereitet, ist die Zunahme junger Frauen. „30 Prozent der Hilfesuchenden sind zwischen 18 und 24 Jahren alt.“

Schäfer begleitet die Besucher zur letzten Station des Rundgangs, den Tagesstreff in der Aulberstraße, der täglich von 12 bis 17 Uhr geöffnet hat. Ein niederschwelliges Hilfeangebot mit Tagescafé, das Schäfer liebevoll „eine Art betreutes Wohnzimmer“ nennt. Hier können Menschen mit kleinem Geldbeutel nicht nur zum Essen, Duschen oder Waschen kommen. Hier finden sie auch Geselligkeit. Der freundliche Aufenthaltsraum ist mit Halloween-Gespenstern geschmückt. Auf den Tischen stehen frische Blumen. Die gibt es täglich, seit unter den 15 Ehrenamtlichen, die den Tagestreff am Laufen halten, eine Gärtnerin mitmacht.

Auch der ehemalige Lehrer Michael Kopp hat im Tagestreff nach seinem Ruhestand eine Beschäftigung gefunden: „Ich bin seit neun Jahren begeistert dabei.“

Immer mehr wohnungslose Frauen

Die Zahl der wohnungslosen Frauen steigt stetig an: Waren es 2005 in Reutlingen noch rund 60 Frauen, die von Wohnungslosigkeit betroffen waren, zeigt die Beratungs-Statistik der AWO 2010 bereits 120 Frauen. 2015 suchten mehr als 230 Klientinnen die offene Sprechstunde im Elisabeth-Zundel-Haus auf. Die vier Notübernachtungsplätze für Frauen in der Glaserstraße und die sieben Plätze im Elisabeth-Zundel-Haus reichen deshalb bei weitem nicht aus.