Über eine Jugendsünde

Von der Germanenstaffel zur Kriminalpolizei

Je älter man wird, desto länger wird in der Erinnerung der Schulweg – diese angebliche Gesetzmäßigkeit weise ich     entschieden von mir. Denn der Weg vom Kepler-Gymnasium auf den Österberg in die Stauffenbergstraße war schon zur Schulzeit eine lange Strecke.

01.04.2017

Von Thomas de Marco

Die Germanenstaffel hat auch ohne Unterstützung ehemaliger Jugendstraftäter ein neues Geländer bekommen. Und was für eins. Bild: Metz

Die Germanenstaffel hat auch ohne Unterstützung ehemaliger Jugendstraftäter ein neues Geländer bekommen. Und was für eins. Bild: Metz

Und die kürzeste führte über die Germanenstaffel, immerhin auch 1,6 Kilometer lang. Als Neunjähriger musste ich da mit meinem Kumpel immer mal wieder eine Pause einlegen. Die ließ sich überaus kreativ nutzen, weil die Holzlatten am Geländer schon reichlich betagt und deshalb sehr marode waren.

Irgendwann hatten wir begonnen, das morsche Holz rauszutreten und die weißen Latten in den Abgrund zu schicken. Die Schrauben drehten wir aus den Halterungsblechen und nahmen sie mitsamt den Muttern nach Hause. Kann man ja immer mal brauchen. Als wir gerade dabei waren, einen weiteren Abschnitt des Geländers von seinen Latten zu befreien, kam uns eine Frau in die Quere. Dummerweise kannte sie die Familie meines Freundes und wollte ihm ins Gewissen reden.

Doch da war sie an den Falschen geraten: Mein Kumpel, dessen Eltern schließlich die Frottierweberei Egeria gehörte, machte der forschen Frau unmissverständlich klar, dass sie das überhaupt gar nichts angehe und sie uns sofort in Ruhe lassen solle. Als die Spaßbremse dann weitergelaufen war, traten wir lustig noch ein paar Latten in die Tiefe, steckten die Schrauben ein und setzten unseren Nachhauseweg fort.

Kurz darauf landete eine Vorladung der Polizei im Haus meines Freundes, der nicht weit entfernt von mir wohnte, im Briefkasten. Weil beim Zusammentreffen der beiden Familien auf einem Sonntagsspaziergang herauskam, dass auch ich das Geländer der Germanenstaffel malträtiert hatte, durfte ich mit in die Hermann-Kurz-Straße 4. Dort, im Gebäude der heutigen Jugendherberge, war in den 1960er-Jahren die Kriminal-Hauptstelle der Polizei untergebracht.

Was ich als beinhartes Verhör befürchtet hatte, entwickelte sich zu meinem Erstaunen eher zur lockeren Fragerunde mit entspannten Beamten. Dennoch ist es mir schwer gefallen, zu erklären, wieso wir es eigentlich so auf die Zerstörung des Geländers abgesehen hatten und warum wir scharf auf die Schrauben waren.

Zum einen hatte ich mir über die Motive selbst nie groß Gedanken gemacht (die Metallteile landeten größtenteils dann doch im Müll). Und zum anderen war es ja die Kriminalpolizei, der ich stockend und zäh Antwort gab. Die Beamten hätten den Fall allerdings viel einfacher klären können, denn im Vorzimmer saß mein kleiner Bruder, der mich mit meiner Mutter begleitete und einer Sekretärin locker ausplauderte, was er so alles über die Geschichte wusste.

Unmittelbare Konsequenzen hatte der schwere Gang zur Polizei überraschenderweise keine. Erst ein paar Wochen später ging ein Schreiben ein, dass wir uns darauf einstellen mussten, uns an den Kosten der Wiederherstellung des Geländers zu beteiligen oder sogar bei den Arbeiten mitzuhelfen. All die Jahre ist seither aber niemand mehr auf mich zugekommen – und ich denke mal, mit der neuen Germanenstaffel dürfte diese Sache jetzt endgültig erledigt sein.

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Erstellt:
01.04.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 24sec
zuletzt aktualisiert: 01.04.2017, 01:00 Uhr

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