Die TAGBLATT-Gutenachtgeschichte in Weiler

Von Polarnächten und Damenbärten

Rund 150 Gäste kamen am Dienstagabend zur TAGBLATT-„Gutenachtgeschichte“ nach Weiler, wo Gertrud Reinfrank und Melanie Ulmer vorlasen und das Bisinger Brettle spielte.

26.07.2018

Von Werner Bauknecht

Übervoll war der Platz vor dem Bürgerhaus Weiler am Dienstagabend, wo Melanie Ulmer Kurzgeschichten aus „Ich hatte mich jünger in Erinnerung“ von Monika Bittl und Silke Neumayer vorlas. Bild: Bauknecht

Übervoll war der Platz vor dem Bürgerhaus Weiler am Dienstagabend, wo Melanie Ulmer Kurzgeschichten aus „Ich hatte mich jünger in Erinnerung“ von Monika Bittl und Silke Neumayer vorlas. Bild: Bauknecht

Perfektes Vorlesewetter vor dem Weiler Bürgerhaus. Im vergangenen Jahr musste man zur Pause noch ins Gebäude wechseln: Regenschauer. Dieses Jahr war sogar das „Bisinger Brettle“ am Start. Das hochkarätige schwäbisches Mundartensemble trug Lieder, Szenen und Sketche vor. Organisatoren der Veranstaltung waren der Förderverein Bürgerhaus, das SCHWÄBISCHE TAGBLATT und die Buchhandlung Osiander.

Das Bisinger Brettle eröffnete den Abend mit dem Bekenntnis zu allem Schwäbischen: „Mit schwäbisch erwacht mein Herz ond Seel‘“ sangen die zwei – ihr drittes Ensemblemitglied war verhindert. Und dass sie des Dialekts mächtig sind, zeigten sie gleich mal mit ihrem Wortschatz an liebevollen Beschimpfungen. „Heckabronzer“ hieß es da, und „Arschnaheger, Lellebeppel, Duppeler ond Bämull.“

Die Ofterdingerin Gertrud Reinfrank, die aber auch Mitglied im VdK-Ortsverband Weiler ist, las aus Christiane Ritters „Eine Frau erlebt eine Polarnacht.“ 1934 verbrachte diese Frau gemeinsam mit ihrem Mann und einem Freund ein Jahr in Spitzbergen, weit weg von jeder Zivilisation. „Ich habe das Buch schon ein paar mal gelesen“, sagte Reinfrank, „es fasziniert mich immer wieder.“

Der Großteil ihrer Lesung handelte vom Aufenthalt der Frau in einer Hütte, während draußen ein Polarsturm tobt. Die beiden Männer waren unterwegs, um Fallen zu stellen, die Frau durchlitt den fast zweiwöchigen Sturm alleine. „Brüllend“ erlebte sie den Sturm, die „Landschaft war im Aufruhr“ und irgendwann gab es dann bis zu 40 Grad Minus. Der Ofen wurde mit Petroleum und Seehundfett entfacht. „Wenn ein Bär kommt“, so ihr Mann ehe er ging, „schieß ihn in die Brust.“ In ihrer Einsamkeit überlegte sie, Vorhänge zu nähen, damit sie nicht sieht, wenn der Bär von draußen durchs Fenster schaut. Sie ist tagelang eingeschneit. Ein „Schneebrett“ umschließt die Hütte. Dabei hat sie erst 78 Tage arktischen Winters hinter sich, 55 stehen noch bevor. Ihr größtes Problem, stellt die Autorin fest, sei die Einsamkeit. „Sie ist in der Natur übermächtig, nicht so, wie wir es von zu Hause gewohnt sind.“

Nach der Pause eröffnete das Brettle den zweiten Teil der Lesung. Melanie Ulmer, Vorsitzende des Musikvereins Weiler, trug drei Kurzgeschichten aus dem Buch „Ich hatte mich jünger in Erinnerung“ von Monika Bittl und Silke Neumayer vor. Frauen in der Alterskrise, aber lustig dargestellt. In „Meine erste Lesebrille“ entdeckt einer Frau um die 50 im Drogeriemarkt eine Brille für zwei Euro. Okay, sie braucht eine Brille, aber „dann sehe ich ja aus wie eine alte Frau“. Furchtbar, das geht nicht. Andererseits – zwei Euro ... Man könnte sie ja mal einfach so ... bei dem Preis ... – aber was würde ihr Umfeld zu einer Brille sagen? Vielleicht sollte sie sich eher eine teure, stylische Brille kaufen? Nein, auf keinen Fall – das käme einer Kapitulation gleich.

In der zweiten Geschichte werde es „intim“, sagte Ulmer. Nein, kein Sex, sondern Körperbehaarung ist das Thema. Zumindest bei der Frau im fortgeschrittenen Alter. Sie hat ein Barthaar entdeckt. Ein Barthaar – es geht nicht schlimmer. Je älter sie wird, desto mehr Haare wachsen ihr. „Brauche ich dann mit 80 eine tägliche Vollrasur?“, fragt sie sich entsetzt.

Melanie Ulmer las wunderbar engagiert und schien aufrichtig mitzuleiden. Ihr gelang es sogar, in der dritten Geschichte in verteilten Rollen zu agieren. Dabei sprach sie die Stimme des Kellers mit, in dem die Protagonistin „Das neue Zauberwort“ entdeckt – so lautet der Titel der Geschichte. In tiefem Bass spricht sie der Keller an – sie, die Unzufriedene, just am Tag vor dem Familienurlaub. Sie erinnert sich an all den Stress, den sie stets mit dem Urlaub hat. „Ich schlafe im Urlaub immer weniger als zu Hause“, sagt sie. Und der Keller fragt zurück, warum sie denn dann mitgehe. Wenn früher das Zauberwort „bitte“ hieß, so wird ihr klar, dann heißt das neue Zauberwort „nein“. Und so bleibt sie da, lässt die Familie alleine in Urlaub fahren und genießt das.

Viel Beifall für die Geschichten, und zum Abschluss spielte noch einmal das Bisinger Brettle.

Von Polarnächten und Damenbärten