Winfried Gaus über Erkenntnisse in Zeiten des Diesels

Von Lebenslügen und tiefen Verunsicherungen

Ich fahre einen Diesel. Ein Busle französischer Herkunft, weil sich das damals beim Kauf so ergeben hat. Zuvor hatte ich ein Busle deutscher Herkunft, auch einen Diesel. Weil an ihm so viel kaputt gegangen war im Lauf der Zeit und der das Busle produzierende Konzern aus dem Norden meines Landes beim Wort Kulanz stets in demonstrative Gehörlosigkeit verfallen ist, habe ich schließlich auf das französische Fabrikat umgestellt.

05.09.2017

Von Winfried Gaus

Ich bin damit bislang gut gefahren, auch weil mein Autobauer bisher keinen Mucks verlauten lassen musste von wegen kreativer Abgasreinigungsabschaltvorrichtungen oder noch kreativerer Softwareansteuerungen dazu. Fünf Jahre lang sind das Busle und ich jetzt schon eins. Beide zeigen wir einen normalen Verschleiß, das Busle auch noch eine grüne Plakette. Ich könnte zufrieden sein (und wenn mich die Stuttgarter bald nicht mehr in ihren Kessel lassen wollen, dann sei es halt so; freiwillig bin ich dort sowieso noch nie hin).

Doch die Stickoxid-Diskussionen gehen an einem ja genausowenig vorbei wie der unter anderem durch NOx hervorgerufene Feinstaub. Mein Diesel, Plakette hin oder her, ist technisch bedingt ein NOx-Saukerle. Und ich damit auch. Man wird zum Paria, zum Außenseiter, auf den immer mehr herabsehen. Innerhalb weniger Jahre wurde ich vom Wenigerkraftstoffverbraucher zum Mehrstickoxidausstoßer. Eine steile Karriere – nach unten. Dass ich trotz allem noch ein Wenigerkohlendioxidausstoßer bin als ich es mit einem Benziner wäre, hilft mir auch nicht weiter. Ich werde bei Diskussionen dazu immer stiller.

Der Grad meiner Verunsicherung lässt sich an Abwehrstrategien festmachen. Ich fahre mit Freuden seit 40 Jahren Motorrad. Ich könnte stundenlang schwärmen von der frischen Luft, die einem ums Näsle weht, von der dem motorgetriebenen Zweirad innewohnenden Dynamik (ja, sogar in Führerschein-konformen Tempo-Bereichen). Motto: Ein Auto transportiert einen Menschen, ein Motorrad die Seele. Alles nostalgischer Quatsch: Ich fahre Motorrad, weil ich noch weniger Kraftstoff (Super übrigens, nebenbei bemerkt) ver- und weniger Parkplatz brauche und weil die Auslastung höher ist (von zwei Sitzplätzen sind 50 Prozent besetzt, im Bus mit mir nur 16,66 Prozent). Ja, soweit ist es gekommen, mein Bus braucht meine Zweiradlobby!

(Einschub für vielleicht schon darob Grübelnde: der ÖPNV bietet aufgrund meiner Arbeitszeiten, die sich nur in geringem Umfang von mir verlässlich beeinflussen lassen, für mich keinen allzu hohen Verführungsgrad.)

Wenn ich es recht bedenke, ist mein Leben ohnehin auf einer stinkenden Lüge aufgebaut. Ich bin auch Raucher – und ich weiß um die daraus erwachsenden Gefahren für mich und andere. Ich esse zeitlebens Wurst und Fleisch und möchte dies nicht einmal annähernd in Methanausstoß-Äquivalente umgerechnet haben – sonst kriege ich vom schlechten Gewissen Kopfweh.

PS: Wenn ich noch dazu in der Lage sein werde, schreibe ich in 20 Jahren eine Kolumne, wie mich mein selbstständig fahrendes Falt-E-Busle nervt. Hat es mich doch schon wieder am falschen Seniorenheim abgesetzt. Bis dann.