Gutenachtgeschichte

Von Hochrad und Südtirol

130 Zuhörer strömten zum Leseabend am Dienstag in den Hirrlinger Schlosshof. Diakon Godehard König und Bürgermeister Christoph Wild lasen vor.

24.08.2017

Von Klaus Stifel

130 Besucher kamen zur Gute-Nacht-Geschichte des TAGBLATTs nach Hirrlingen. Im Lesesessel Diakon Godehard König. Bild: Stifel

130 Besucher kamen zur Gute-Nacht-Geschichte des TAGBLATTs nach Hirrlingen. Im Lesesessel Diakon Godehard König. Bild: Stifel

Ein lauer Sommerabend, ein Ohrensessel, ein Streichorchester, viele erwartungsvolle Gäste und zwei vorlesefreudige Männer prägten das Ambiente im Hirrlinger Schlosshof. Es war der neunte Abend von insgesamt zwölf „Gutenachtgeschichten unterwegs“ des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs und der Osiander-Buchhandlung Tübingen in diesem Jahr. Der Andrang war so groß, dass zusätzliche Stühle herbeigeschafft werden mussten.

In Hirrlingen war es nach siebenjähriger Pause die vierte Gutenachtgeschichte, wie die TAGBLATT-Redakteurin und Moderatorin Hete Henning in ihrem Grußwort anmerkte. „Dem Hirrlinger Büchereiteam sind die Vorleser ausgegangen“, erklärte sie die lange Unterbrechung.

Die Hauptrolle spielten die Vorleser Diakon Godehard König und Bürgermeister Christoph Wild. Auf verblüffend verschiedene Weise lasen die beiden jeweils eine halbe Stunde lang mit viel Ausstrahlung und Empathie aus ihren ganz unterschiedlichen Lieblingswerken. Das Hirrlinger Streichorchester Strings and More in kleiner Besetzung, dirigiert von Andreas Reiss, eröffnete den Abend und überbrückte auch die Pause mit rockig-poppigen Stücken.

Diakon König machte es sich unter der Leseleuchte im Sessel bequem. Auf dem Tischchen neben ihm stand zur Zierde eine brennende rote Petroleumlampe. König wählte, weil Karl Freiherr von Drais vor 200 Jahren das Fahrrad erfand, Passagen aus dem Buch „Der Mann auf dem Hochrad“ für seinen Vortrag aus. Geschrieben hat es Uwe Timm.

Hochrad statt Kirchgang

„Das Buch macht deutlich, wie die Menschen auf Neuigkeiten und Veränderungen reagieren“, sagte König. „Anfänglich stehen sie diesen meistens skeptisch gegenüber und reagieren mit Gespött.“ In seiner Humoreske malt der Autor voller Bewunderung und melancholisch etwas Liebenswürdiges aus längst vergangenem Alltag aus, einer Zeit, in der manche technische Neuerung schon bald nur noch altmodisch ist. Bei der Erfindung des Hochrads seien sich selbst die Pastoren uneins gewesen, las König vor. So blieb dem Tierpräparator Franz Schröder, der die Hauptperson in dem Buch spielt, am Ende nichts anderes übrig, als dem Gottesdienstbesuch eine Fahrt mit dem Hochrad ins Freie vorzuziehen.

Bürgermeister Christoph Wild schilderte dem Publikum, warum er sich das autobiografische Werk „Schöne Welt, böse Leut“, verfasst von Claus Gatterer, ausgesucht hatte. Es beschäftigt sich mit der Geschichte Südtirols. „Mich hat Südtirol seit meinem ersten Besuch in seinen Bann gezogen“, erzählte Wild. In einem Referat zur Vorbereitung eines Schullandheimaufenthalts in Südtirol sei er der Frage nachgegangen, warum in diesem Land Deutsch und Italienisch gesprochen wird. In einer Stadtbibliothek sei ihm 1991 dieses Buch empfohlen worden.

Wild scheint seither zu einem Experten in der Geschichte Südtirols geworden zu sein – davon zeugen die vielen Bücher in seinem Regal zu Hause, wie er verriet. „Schöne Welt, böse Leut“ sei ein Geschichtsbuch, aber ein ganz besonderes. „Seither lässt mich dieses Thema nicht mehr los“, sagt Wild über seine Südtirol-Faszination.

Claus Gatterer schildert im Buch seine Kindheitserlebnisse im Heimatdorf Sexten. Das war zwischen 1930 und 1940, eine für Südtirol schwierige und unglückliche Zeit: Der aufkeimende Faschismus Mussolinis führte zur Unterdrückung der deutschsprachigen Minderheit. Gatterer berichtet in markanter, bildhafter Sprache über das Alltägliche in dieser Zeit: über die Schule, die Gespräche der Eltern und Großeltern, über Feste bis hin zum zunehmenden Tourismus und über die Kontakte zwischen den Nationalitäten.

Gäste spendeten 410 Euro

Den Zuhörern gefiel der Leseabend. Eine Frau strickte derweil eine Mütze. Der umlaufende Spenden-Hut war am Schluss mit 410 Euro gefüllt. Je zur Hälfte geht das Geld an die Gemeindebücherei und an das Orchester Strings and More. Die fünf Frauen von der Gemeindebücherei bewirteten mit Erfrischungsgetränken, Wein, Sekt, und Brezeln.

Elf Bücher aus Finnland für Hirrlingen

Herbert Kratzer,  Leiter der Bezirksgruppe Reutlingen-Tübingen der Deutsch-Finnischen Gesellschaft (DFG), schenkte der Gemeindebücherei Hirrlingen am Dienstagabend elf Bücher (zwei Kinderbücher, neun Krimis). Die Gesellschaft macht mit der Aktion „Eine Tasche voller Bücher“ auf den 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Finnlands aufmerksam. In Konzerten, Lesungen, Vorträgen und Ausstellungen bringt die DFG finnische Kultur nach Deutschland und fördert die Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder betreuen Schüler- und Jugendaustausche, unterstützen deutsch-finnische Städtepartnerschaften und tragen dazu bei, Finnland und Deutschland bekannter zu machen.