Potsdam

Film- und Serienproduktion: Vom Mythos leben lernen

Günstige Drehbedingungen, jede Menge Fördermittel, Hightech-Studios, dazu verfallene Orte, leere Landschaften, Nazi-Flair und Grusel-Faktor: Warum Deutschland besonders für internationale Film- und Serienproduktionen zum bevorzugten Drehort wird.

05.02.2022

Von Christina Tilmann

Film- und Serienproduktion: Vom Mythos leben lernen
Die Außenansicht von Schloss Sandringham erinnert doch sehr ans Münsterland: roter Backstein, feuchte Wiesen, tief hängender Himmel. Den Glamour für das Weihnachtsfest im Kreis des britischen Königshauses 1991 stiftete hingegen Schloss Friedenshof im Taunus, erbaut für Victoria Kaiserin Friedrich, Königin von Preußen, Tochter der britischen Queen Victoria. Heute ist es das Schlosshotel Kronberg. Doch der Ruinen-Look kommt aus Brandenburg.

Wer sich auf Spuren des seit Januar in den Kinos laufenden Diana-Melodrams „Spencer“ auf die Suche nach den Drehorten macht, unternimmt schnell eine Deutschlandreise: Schloss Nordkirchen, das „deutsche Versailles“ in Nordrhein-Westfalen, diente für die Außenaufnahmen des royalen Rückzugsorts Sandringham, eine Tankstelle bei Dülmen als Gaststätte, in der Diana nach dem Weg fragt. Das Schlosshotel Kronberg bei Frankfurt am Main bot Bibliothek, Billardzimmer und Lobby. Und Schloss Marquardt bei Potsdam stand unter anderem Modell für Dianas Jugendwohnsitz, der im Film verlassen und mit Stacheldraht gesichert ist.

Die Suche nach den Drehorten ist inzwischen eine Art Sport unter Filmfans geworden. So betreibt Andrea David aus Hamburg sehr erfolgreich ihren Blog filmtourismus.de, auf dem sie die realen Orte mit Filmstills kombiniert und Hintergrundinfos zu Film und Location liefert. Die studierte Tourismusmanagerin dokumentiert seit 16 Jahren Drehorte auf ihrer Homepage. 100.000 Follower lesen ihre Seite und liefern in den Chats eigene Beiträge zu. Da berichtet etwa ein Fabian, dass die für die Netflix-Serie „Dark“ verwendete Waldhütte der Familie Doppler seinem Großonkel gehört habe und im Landkreis Potsdam-Mittelmark stehe. Die Höhle in der Nähe im Wald sei allerdings Kulisse und nur für den Film aufgebaut. Gerade bei „Dark“ ist auch Davids „Filmtourismus-Knigge“ hilfreich, der darauf hinweist, dass Privateigentum Privateigentum bleibt, auch wenn es als Drehort diente. Nicht umsonst halten die Eigentümer des purpurroten Hauses, das als Wohnhaus der Familie Kahnwald dient, die genaue Adresse ihres Anwesens in Oberhavel geheim, um sich des Ansturms der Serienfans zu erwehren.

Hat den Zwanzigerjahre-Hype begründet: Eine Szene der 4. Staffel der TV-Serie „Babylon Berlin“ wurde am Rolandufer in der Hauptstadt gedreht. Foto: dpa

Hat den Zwanzigerjahre-Hype begründet: Eine Szene der 4. Staffel der TV-Serie „Babylon Berlin“ wurde am Rolandufer in der Hauptstadt gedreht. Foto: dpa

Insbesondere für historische Stoffe, wie sie Hollywood liebt, findet sich in Ostdeutschland immer noch authentisches Material für NS- und Kalter-Krieg-Stoffe. Von der Glienicker Brücke, die für Steven Spielbergs „Bridge of Spies“ herhalten musste und dem Bendler-Block in Berlin, wo, am authentischen Ort, 2008 der Film „Operation Walküre“ gedreht wurde, bis zum sozialistischen Flächendenkmal Eisenhüttenstadt, das aktuell für die neue Netflix-Serie „Kleo“ als Schauplatz dient. Auch Lost Places wie das verfallene Chemiewerk in Rüdersdorf, die Beelitzer Heilstätten und das Kasernengelände in Krampnitz sind ausgesprochen beliebt.

Dass gerade die Region Berlin-Brandenburg international in den vergangenen Jahren so attraktiv für Großproduktionen geworden ist, liegt nach Meinung von Kirsten Niehuus, der hervorragend vernetzten Geschäftsführerin des Medienboards Berlin-Brandenburg, allerdings nur zum Teil an den attraktiven Filmlocations. Mindestens ebenso wichtig sei, dass insbesondere das international stark gefragte Studio Babelsberg technisch stark aufgerüstet hat. Die dortige Außenkulisse „Neue Berliner Straße“, die inzwischen als „Metropolitan Backlot“ vermarktet wird, war nicht nur für „Babylon Berlin“, sondern auch für Christian Schwochows Robert Harris-Verfilmung „Munich“ Kulisse – und die LED-Kuppel „Dark Bay“, eine gebogene, 55 Meter lange und 7 Meter hohe Wand, die mit 1470 Hightech-LED-Panels bestückt ist, ermöglicht aktuell den Dreh von „1899“, der Nachfolgeproduktion der „Dark“-Schöpfer Jantje Friese und Baran bo Odar.

Unterwegs im Berliner Umland für „Bibi & Tina“: Regisseur Detlev Buck. Foto: dpa

Unterwegs im Berliner Umland für „Bibi & Tina“: Regisseur Detlev Buck. Foto: dpa

Einen Wermutstropfen gibt es für Niehuus allerdings: Was die Fördergelder angeht, ist Deutschland verglichen mit den Konkurrenzländern Ungarn und Tschechien schlechter aufgestellt. Hierzulande sei die Fördersumme in den meisten Fällen gedeckelt, so dass Großproduktionen dann nach Budapest oder Prag wechseln, zumal auch dort historische Locations mit dem gewünschten authentischen Flair zu Hauf existierten. Selbst deutsche Prestigeproduktionen wie „Der Palast“ mussten dorthin ausweichen, weil der entsprechende deutsche Serienfördertopf 2021 schon im Sommer ausgeschöpft war.

Auch Carl L. Woebcken, Geschäftsführer des Studio Babelsberg, beklagt, trotz Standortvorteile im europäischen Wettbewerb oft nicht mithalten zu können: „Solche Produktionen werden in Deutschland immer noch nicht ausreichend gefördert und die Produzenten entscheiden sich dann für andere Standorte wie England, Frankreich, Italien oder Osteuropa.“, sagt er und fordert mehr Hilfe vom Bund: „Wir würden gern den Anteil der Serienproduktion erhöhen. Wir haben Anfragen ohne Ende und Absagen ohne Ende.“ Der Markt habe sich wegen des großen Bedarfs der Streamingdienste hin zu seriellen Formaten gedreht – auch wegen der Corona-Pandemie, die das Kinosterben beschleunigt habe. Doch: „Weltweit boomt es und Deutschland partizipiert nicht daran“, sagte Woebcken.

Dass der Filmstandort Berlin-Brandenburg nach Startschwierigkeiten in den 1990er-Jahren so einen Aufschwung genommen hat, habe alle politisch Beteiligten überrascht, erinnert sich Kirsten Niehuus, die damals in der Filmförderungsanstalt tätig war. Geld allein war dabei nicht das entscheidende Kriterium: „Die Kollegen in Bayern und Nordrhein-Westfalen haben viel mehr Geld.“ Viel wichtiger sei gewesen, dass Berlin in der Nachwendezeit eine große Attraktivität auf Kreative ausgeübt habe, so dass extrem viele Menschen aus der Filmbranche nach Berlin gezogen seien. Hinzu kämen die „sensationellen Fachkräfte“ im Studio Babelsberg, die zum Glück alle Transformationsprozesse überdauert hätten: „Was das Art Department dort leisten kann, ist wirklich einzigartig, nicht nur in Deutschland“, lobt Niehuus die Nachbarn in Babelsberg.

Wenn Carrie Mathison (Claire Danes) in „Homeland“ durch Amsterdam streift, ist sie in Wahrheit im holländischen Viertel in Potsdam unterwegs. Foto: Andrea David

Wenn Carrie Mathison (Claire Danes) in „Homeland“ durch Amsterdam streift, ist sie in Wahrheit im holländischen Viertel in Potsdam unterwegs. Foto: Andrea David

Für die, die es lieber real haben, gibt es die Berlin Brandenburg Film Commission, auf deren Webseite man gefiltert nach Locations suchen kann, ob man lieber in einem Einfamilienhaus, einer Villa, einem Schloss oder einer Kirche dreht. Zum Beispiel habe ein Projekt gerade einen Film, der in Kasachstan spielen soll, in der Nähe von Lieberose drehen wollen, erzählt Niehuus. Auch für besondere Locations wie die Glienicker Brücke oder den Flughafen seien Drehgenehmigungen manchmal schwer zu bekommen.

Vor dem gerade eröffneten Humboldt Forum hat zuletzt Hollywood-Star Liam Neeson Szenen für den Actionfilm „Retribution“ gedreht. Und über die im Sommer 2021 unter höchster Geheimhaltung im Filmstudio Babelsberg durchgeführten Dreharbeiten zu „Matrix Resurrections“ kann sich inzwischen jeder im Kino selbst ein Bild machen. Kleiner Tipp: Die halbkreisförmige Rakotz-Brücke aus dem Kromlauer Park bei Görlitz, die in einer Szene prominent im Hintergrund zu sehen ist, ist seitdem bei Instagram ein höchst beliebtes Fotosujet.

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Erstellt:
05.02.2022, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 07sec
zuletzt aktualisiert: 05.02.2022, 06:00 Uhr

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