Fliegel, Habergeschirr und Schüttgabel

Vom Korn zum Brot: In Nehren zeigten ehemalige Landwirte, wie sie früher ernteten

Im vergangenen Jahr startete derVerein „Nehren Aktiv“ das Projekt „Vom Korn zum Brot“. Auf einem Feld an der Talstraße zeigten Mitglieder des Vereins nun, mit welchen Geräten früher die Ernte eingebracht wurde.

04.08.2016

Von Michael Sturm

Vom Korn zum Brot: In Nehren zeigten ehemalige Landwirte, wie sie früher ernteten

Nehren. Landwirtschaft war früher mit vielen Mühen verbunden. „Wir haben letztes Jahr beschlossen, der Bevölkerung zu zeigen, wie man früher aussäte, das Feld bestellte und erntete“, so Rolf Breining, stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Nehren Aktiv“. Vereinsmitglieder hatten das vom „Schoko-Klett“ zur Verfügung gestellte Feld am 6. Oktober vergangenen Jahres – vor den Augen zweier Schulklassen – mit Hilfe von Pferden beackert. Dabei arbeiteten sie mit Fräsen, um ja die mit Unkraut bedeckte, oberste Schicht des Bodens unterzupflügen. Anschließend hatten sie das Korn mit der Hand ausgesät.

Am vergangenen Samstag wurde geerntet. Mit Werkzeug, das die Älteren der gut 100 Zuschauer vermutlich mal gesehen, vielleicht sogar mal in den Händen gehalten hatten. Eine Sense kennt man. Was aber ist ein Fliegel? Was ein Habergeschirr? Konrad Dürr führte diese beiden Geräte vor. Beim Fliegel ist ein gespanntes Tuch oberhalb der Schneide angebracht, das die gemähten Halme gleich in Form von Garben bringt, damit man sie gleich zusammen binden kann. Beim Habergeschirr ist eine Art Rechen anstatt des Tuchs angebracht. „Unkommod“ sei dieses Gerät, so Dürr, weil es ganz oben, im Gegensatz zum Fliegel, keinen weiteren Griff gebe. „In meiner Jugendzeit ist das am ausgehen gewesen. Meine Eltern hatten nur einen Fliegel“, fügte Dürr an.

Der heute 79-Jährige wuchs in der kleinen Landwirtschaft seines Vaters auf: Fünf Stück Vieh, Kühe und ein paar Sauen. Drei bis vier Hektar Ackerland, das in Dreifelderwirtschaft bebaut wurde – abwechselnd mit Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln und der Futterpflanze Klee. Das habe ausgereicht, um die Familie ernähren zu können. Wie viel Landwirtschaft es in Nehren gab, als Dürr ein Junge war, verdeutlicht er mit folgendem Beispiel: „In der Molkerei hatten wir die Nummer 170 – und das war lange nicht die letzte Nummer.“

Dürr ist einer der letzten Nehrener, die das alte Handwerk der Landwirtschaft vorführen können – mit Werkzeug, das er teils nachbaute. Etwa den Dreschflegel aus dem Jahr 1986. Die Holzstücke verband er mit Lederschnüren, auch die selbst hergestellt: „Mein Schwager war Sattler. Von dem hab‘ ich das gelernt.“ Ganz aus Holz ist die Schüttgabel. Die Zinken wurden auseinander gespreizt, indem sie durchbohrt und in die Löcher Keile eingeschlagen wurden. Diesen schwäbischen Erfindergeist bewundert Dürr: „Das waren keine Dackel, die das mit so primitiven Mitteln gemacht haben.“

Deswegen hatten die schwäbischen Bauern auch immer den Kumpf dabei. Das hinten am Gürtel befestigte Behältnis beherbergte zum einen den Stein, mit dem man der Sense Schärfe verpasste. Zum anderen führten die Landwirte Wasser darin – „bis man sich bückte“, so Dürr trocken. Die Getreidegarben blieben bis zum Spätherbst in der Scheuer. Sie wurden gedroschen und zur Mühle gebracht. Dürrs Vater ließ sich stets eine Portion von sechs, sieben Zentnern mahlen, wenn man Brot brauchte – eine Familienportion sozusagen. Dürr ist darüber belustigt, dass Kleie bei Gesundheits-Fanatikern in Mode gekommen ist: „Das gab man damals den Tieren und aß das Weißmehl. Heute essen die Leute Kleie, damit der Darm in Ordnung bleibt. Da muss ich immer lachen.“

Als Dürr mit seiner Vorführung fertig war, legte Matthäus Pfeiffer seinen Schwarzwälder Füchsen Felix und Filou das Arbeitsgeschirr an. Die beiden seien genügsam und sehr geländegängig, zudem sehr leicht und daher am Berg und im Forst belastbarer und ausdauernder als andere Kaltblüter. Überrück und Stränge des Geschirrs hat Pfeiffer selbst gemacht, weil die Original-Teile nicht robust genug gewesen waren. Die beiden Pferde zogen einen Mäher mit einem Ährenheber (auch Ährenteiler genannt), der die Halme abschnitt, die auf der hölzernen Getreideablage nebenan zu ruhen kamen und wie Garben zusammen blieben. Diese wurden nun per Hand gebündelt. Pfeiffer, 72 Jahre alt und seit 47 Jahren mit seiner Frau in Nehren ansässig, stammt aus dem Oberland bei Ravensburg. Von seinem Vater habe er die Pferde geerbt. Mit diesen und Ochsen habe der Senior noch Landwirtschaft gemacht. Pfeiffer war fünf oder sechs Jahre alt, als der Vater den ersten Traktor kaufte – und prompt die Rückwand des Geräteschuppens herausfuhr. Pfeiffer erklärend: „“

Die Mitglieder von „Nehren Aktiv“ werden voraussichtlich am 2. Oktober eine Hockete mit Bewirtung in der Musikantenscheune veranstalten. An diesem Tag soll das an diesem Wochenende geerntete Korn mit Flegeln und einer alten Dreschmaschine gedroschen werden.

Konrad Dürr mit Fliegel.

Konrad Dürr mit Fliegel.