Weilheim · Gutenachtgeschichte

Vom Anpacken und Verändern

Ortsvorsteherin Ulrike Baumgärtner und das Pfarrer-Ehepaar Frithjof Rittberger und Karoline Rittberger-Klas bestritten die erste Gutenachtgeschichte in Weilheim.

11.09.2020

Von Frank Rumpel

Vom Anpacken und Verändern
Es war eine Premiere im lauschigen, von Bäumen umgebenen Garten der Weilheimer Rammerthalle. Am Donnerstagabend machte dort die Gutenachtgeschichte des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs Station – das erste Mal in Weilheim. „Ich konnte das selber kaum glauben“, sagte TAGBLATT-Eventmanagerin Eva Schneider, die den Abend moderierte. Deshalb habe sie extra nochmal im Archiv nachgefragt und tatsächlich: Obwohl es die Veranstaltung nun seit 25 Jahren mit zahlreichen Abstechern im Kreis gibt, blieb Weilheim auf der Gutenachtgeschichtenlandkarte ein weißer Fleck. „Das liegt wohl daran, dass uns nie jemand gefragt hat“, mutmaßte Schneider.

Genau das hat nun der Literaturkreis Weilheim übernommen, der so auch gleich sein zehnjähriges Bestehen feierte. „Hier müssen wir nicht selber lesen, sondern können uns vorlesen lassen, das ist ein besonderer Luxus“, sagte Ko-Moderatorin Margarete Knödler-Pasch, die den derzeit 25 Mitglieder zählenden Literaturkreis leitet. Wobei: Sie sei nicht wirklich die Vorsitzende des auch für Leute außerhalb Weilheims offenen Kreises. „Ich halte das nur etwas in Schwung“, sagte sie. Den attestierte sie auch den drei Vorlesern und Vorleserinnen des Abends. „Alle drei sind offen für Neues und machen Weilheim zu einem ganz lebendigen Dorf.“

Um einen wiederbelebten Landstrich geht es in Jean Gionos Erzählung „Der Mann, der Bäume pflanzte“, die Frithjof Rittberger und seine Frau Karoline Rittberger-Klas routiniert vortrugen. Zusammen leiten sie die evangelische Gesamtkirchengemeinde Weilheim-Hirschau und seien, wie Knödler-Pasch sagte, engagierte Umweltschützer. „Sie fahren Fahrrad. Und wenn mal ein Auto vor
dem Pfarrhaus steht, dann ist es Besuch.“

Der TAGBLATT-Lesesessel stand erstmals im Garten der Weilheimer Rammerthalle. Bild: Anne Faden

Der TAGBLATT-Lesesessel stand erstmals im Garten der Weilheimer Rammerthalle. Bild: Anne Faden

Dazu passte Gionos Geschichte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wandert der Erzähler durch den nördlichen Teil der Provence und findet dort „eine nackte und monotone Landschaft“, eine ausgetrocknete Einöde vor, in der nur wilder Lavendel wächst und deren Dörfer verlassen sind. Ein heftiger Wind bläst über die Hochebene, „faucht um die Überreste der Häuser wie ein Raubtier, das beim Fressen überrascht wird“. Und dort oben trifft der Erzähler einen Schäfer, der seit einigen Jahren Eichen pflanzt, freiwillig, ungefragt, auf Land, das den umliegenden Gemeinden gehört.

10.000 Bäumchen waren bereits herangewachsen. „Er hatte erkannt, dass das Land am Mangel von Bäumen zugrunde gehen würde. Und da er keine besonderen Aufgaben hatte, dachte er, diesen Zustand zu ändern“, heißt es bei Giono. Immer wieder kehrt der Erzähler dorthin zurück, sieht allmählich einen Wald aus Eichen, Birken, Buchen wachsen, wo vorher Wüste war. Die Quellen schütten wieder, die Dörfer beleben sich. Die Erzählung zeige, sagte Rittberger, „wie sehr ein einfacher Mensch, der treu bei seiner Sache bleibt, viel verändern kann“.

Mit einer anderen Form von Anpacken und Verändern befasste sich anschließend Ortsvorsteherin Ulrike Baumgärtner, die auch für die Grünen im Kreistag sitzt. Sie unterhielt das gut 60-köpfige, mehrheitlich eher ältere Publikum mit dem pointiert vorgetragenen Kinderbuch „König Elch“ von Ulf Stark und Ann-Cathrine Sigrid Stählberg. Darin verzweifelt der Elch an seinem eigenen Anspruch, König des Waldes zu sein. Denn eigentlich, meint er, könne er nichts. Und doch hilft er unbewusst den anderen Tieren im Wald, indem er sie dazu bringt, selbst nachzudenken, eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Genau so, finden die Tiere, soll ein König sein.

Dieses Verständnis, meinte Baumgärtner, habe für sie auch viel mit Politik zu tun. Der widmete sich auch ihr zweiter Text, in dem der isländische Komiker und Künstler Jón Gnarr erzählt, wie es kam, dass er 2010 zum Bürgermeister von Reykjavík gewählt wurde. Er wollte, schreibt er, Menschen zusammenbringen und zu einer positiven Einmischung bewegen, denn nur so, ist er überzeugt, lassen sich Leute für eine Idee gewinnen und die Welt verändern.

Das Publikum fühlte sich offensichtlich gut unterhalten. Es gab reichlich Beifall. Im Spendenhut kamen 477 Euro zusammen. Die verteilte Moderatorin Schneider gleich in zwei Umschlägen an den Literaturkreis und den Musikverein, der an dem Abend mit einem Bläserquartett für zusätzlichen Schwung sorgte.