Wahltag

Berlin: Vier Wahlen auf einmal

Außer dem Bundestag werden am Sonntag in Berlin auch die Regional- und Lokalparlamente neu bestimmt. Wer wird künftig in der deutschen Hauptstadt das Sagen haben?

22.09.2021

Von André Bochow

Kai Wegner (CDU). Foto: Jörg Carstensen/dpa

Kai Wegner (CDU). Foto: Jörg Carstensen/dpa

Berlin. Am 26. September wird in Berlin nicht nur der Bundestag gewählt, sondern auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordnetenversammlungen. Auch ein Volksentscheid steht an.

Wie ist die Bilanz des rot-rot-grünen Senats? Auf der einen Seite steht ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum bis zum Corona-Sommer 2020. Fünf der neuerdings 40?Dax-Konzerne haben hier ihren Sitz. Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) spricht von einer „Zeitenwende“. Die Zahl der Beschäftigten stieg, die der Arbeitslosen sank, um dann wegen Corona wieder auf über zehn Prozent anzuwachsen. Der Berliner Mietendeckel wurde vom Bundesverfassungsgericht gekippt, manche Mieter müssen nun nachzahlen. Trotzdem findet der Versuch, die Mietsteigerungen in den Griff zu bekommen, Anklang. Ähnlich ist es bei der „Verkehrswende“. Nur wenige befestigte Radwege wurden neu gebaut. Andererseits hat Berlin 2018 als erstes Bundesland ein Mobilitätsgesetz verabschiedet, das dem öffentlichen Nahverkehr, Radfahrern und Fußgängern Vorrang einräumt.

Wer zieht hier ein? Blick auf das Rote Rathaus in Berlin. Foto: Christophe Gateau/dpa

Wer zieht hier ein? Blick auf das Rote Rathaus in Berlin. Foto: Christophe Gateau/dpa

Was sind die Hauptprobleme Berlins? Ein Thema überlagert alle anderen: das Wohnen. Betrug der durchschnittliche Quadratmeterpreis laut Statista 2012 noch 6,65 Euro, liegt er nun bei 10,49 Euro. Zwischenzeitlich wurde der Anstieg durch den Mietendeckel gestoppt, nun geht es weiter nach oben. Entgegen vielen Gerüchten wird in Berlin auch gebaut. „20 000 Wohnungen sahen die Planungen in diesem Jahr vor“, sagt Tobias Schulze, der Die Linke im Abgeordnetenhaus vertritt. „19?000 werden es. Frau Giffey verspricht 200?000 Wohnungen in 10 Jahren. Das entspricht in etwa dem Stand, den wir jetzt haben“, ergänzt Schulze in Richtung der SPD-Bürgermeister-Kandidatin. Das Problem sei nicht, so der Linke, dass zu wenig Wohnungen gebaut werden. „Das Problem besteht darin, dass es viel zu wenig sind, die sich Normalverdiener leisten können. Und unter diesen Normalverdienern sind immer mehr Akademiker und andere Menschen mit mittlerem Einkommen.“ Eine Initiative will nun per Volksentscheid eine Lösung herbeiführen.

Worum geht es bei dem Volksentscheid? Es geht um Enteignung. Die „Deutsche Wohnen“ und andere Immobiliengesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen vermieten, sollen ihr Eigentum der Stadt Berlin übergeben. Es handelt sich um etwa 200?000 Wohnungen (von 1,5 Millionen in Berlin insgesamt). Genossenschaften sollen ausgenommen werden. Die Gegner der Enteignung, zu denen auch die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey gehört, rechnen mit 35 Milliarden Euro Entschädigung oder mehr. Die Enteignungsinitiative geht von 9 Milliarden aus und die Linken, die beim Entscheid für ein Ja plädieren, rechnen mit etwa 20 Milliarden Euro. Die Mieten sollen so hoch sein, dass die Kredite dafür bedient werden können.

Grundlage der Enteignung ist Artikel 15 des Grundgesetzes, der bislang herangezogen wurde, wenn zum Beispiel Autobahnen über Privatgelände geplant waren. Vorgelegt wird den Bürgern kein Gesetz, sondern die Aufforderung an den Senat, tätig zu werden. Daraus leiten manche ab, dass der Entscheid nicht umgesetzt werden müsse.

Bettina Jarrasch (Grüne). Foto: Dominik Butzmann

Bettina Jarrasch (Grüne). Foto: Dominik Butzmann

Wie stehen die Umfragen für die Abgeordnetenhauswahl? Die letzten Umfragen sahen die SPD vorn, gefolgt von Grünen, CDU und Linken. In einer Umfrage rückten die Grünen zuletzt auf einen Prozent Abstand an die SPD heran. Der CDU, den Linken und der AfD drohen leichte Verluste und die FDP hat ein bisschen Auftrieb.

Worüber wird am Sonntag noch entschieden? Auch die Bezirksverordnetenversammlungen werden am 26. September gewählt. In den zwölf Bezirken wird, wie immer, am Tag der Abgeordnetenhauswahl gewählt. Wie viel Macht die Bezirke tatsächlich haben, ist umstritten. Das Kompetenzgerangel zwischen Landes- und Bezirksebene hat Tradition. Dabei muss man bedenken, dass die Berliner Stadtbezirke jeder für sich die Ausmaße einer Großstadt haben. Die wenigsten Einwohner hat Spandau (245?000), die meisten Pankow (400?000).

Wer wird Regierender Bürgermeisterin oder Regierender Bürgermeister? Im Moment spricht sehr viel für Franziska Giffey. Laut Statista waren zuletzt 42 Prozent der Berliner mit ihrer politischen Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) kommt als Zweiter nur auf 32 Prozent. Dass es nicht immer auf Beliebtheit und noch nicht einmal auf Bekanntheit ankommen muss, zeigt Bettina Jarasch. Zunächst angesichts des Umfragehochs für die Grünen als Favoritin gestartet, dann zurückgefallen und nun möglicherweise bei der Aufholjagd. Mit ihr würde eine, wie sie selbst sagt, „sehr katholische“ Schwäbin Nachfolgerin von Michael Müller werden.

Welche Koalitionen sind auf der Landesebene denkbar? Die Grünen wollen die Linken wieder im Boot haben, Franziska Giffey scheint sich eher nach anderen Lösungen umzusehen. Sollte bei einem Sieg der Grünen die SPD aus dem bisherigen Bündnis aussteigen, wäre die FDP gefragt. Aber dass Giffey eine Koalition mit der CDU und der FDP hinbekommt, ohne ihre Basis zu vergrätzen, ist auch schwer zu glauben. Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie das in der SPD durchsetzen kann.“

Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der SPD. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der SPD. Foto: Kay Nietfeld/dpa

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Erstellt:
22.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 24sec
zuletzt aktualisiert: 22.09.2021, 06:00 Uhr

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