Vier Räume für eine Debatte

Integration Welche Ziele hat unsere Gesellschaft? Das Landratsamt bot erstmals eine Diskussionsrunde – ein bisschen im Stil von Speed Dating.

20.10.2016

Von Michael Sturm

Vier Räume, drei Zeitblöcke, wechselnde Diskutanten: Aus der Verwaltung, Sozialarbeiter, Medienleute, Uni-Professoren und ein Pfarrer. Und Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kamen. Das Landratsamt veranstaltete eine etwas andere Diskussionsrunde um den Begriff „Integration“. Der ersten Auflage am Dienstagabend sollen weitere folgen.

Den rund 130 Zuhörern, die sich durchaus in die Diskussion einmischen sollten, half ein Faltblatt, sich für die Diskussionsrunden zu entscheiden – 20 Haupt-Diskutanten waren darauf mit knapp ausgeführten Thesen abgedruckt. Zwischen den drei Zeitblöcken gab es zwei rund zehnminütige Pausen, in denen sich alle kurz stärkten, sich vor allem neu orientierten.

Zu Beginn führte Landrat Joachim Walter als Gastgeber aus, warum man die Diskussionsrunde zusammengestellt habe: „Die Kollegen sind oft nicht einfach sichtbar.“ Die Mitarbeiter des Landratsamts sind in der Regel diejenigen, die zuerst mit Flüchtlingen zu tun haben und eine Grundversorgung aus Unterkunft und Startkapital bereitstellen. Walter sagte, es gehe ihm nicht darum, „das Wort Integration festzunageln.“ Sondern eine Möglichkeit bereitzustellen, auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren, aktiv und wirksam.

Ihm schwebte vor, die verschiedenen Vorstellungen von Heimat ebenso zur Diskussion zu stellen wie
die Werte, die er als „Kern unserer gesellschaftlichen Selbstreflexion“ bezeichnete.

Erste Runde. Was bedeutet Integration? Sie stehe für sie für die Überwindung von Fremdheit und für Hoffnung, so Iris Ackermann von der Abteilung Soziales im Landratsamt, sie dauere jedoch „länger, als wir alle es wünschen.“ Auch Martin Kreuser, Pfarrer in Dettenhausen, geht es oft zu langsam: Von 50 Flüchtlingen seien erst zwei in Ausbildung, eine Handvoll andere „in prekären Arbeitsverhältnissen.“ Mohammad Monand, Flüchtling aus Afghanistan, seit einem Jahr in Deutschland, betonte, die Sprache sei für ihn ein Schlüssel zum Leben im anderen Land, in einer anderen Kultur. Er und seine Landsleute bekommen aber keine Sprachkurse. In Tübingen komme er mit Englisch durch, in anderen Regionen nicht. Wichtig für ihn: Er half einer kurdischen Familie als Übersetzer, als die Frau ins Krankenhaus musste.

Matthias Xander, Redakteur des Radiosenders Wüste Welle, stellte fest, mit dem Begriff Inklusion verbinde er eher eine Kommunikation auf Augenhöhe als mit Integration. Das vermittle ihm eher das Bild einer Gesellschaft, die Fremde kommen lässt, um sie auszunutzen. Das könne er nicht nachvollziehen, antwortete Kreisarchivar Wolfgang Sannwald, der die Runde auch moderierte: Immerhin stelle der Landkreis 330 Euro pro Monat und eine Unterkunft zur Verfügung. In der Integration gehe es auch darum, Flüchtlingen Arbeit und Teilhabe zu verschaffen: „Die Leute müssen das Gefühl haben, gebraucht zu werden.“ Alle waren sich einig: Sprachkompetenz sei das Wichtigste, um in einer Gesellschaft anzukommen.

Zweite Runde: Das Ziel von Integration. Soziologie-Professor Boris Nieswand formulierte zwei Kernbestandteile: Verschiedene sprachliche Kompetenzen, je nach Feld, in dem man sich bewege, und Teilhabe-Rechte. Um sich in der Gesellschaft zurecht zu finden, so Landrat Walter, gehöre dazu, dass Immigranten die hiesigen Spielregeln akzeptieren, andererseits müssten jene vermittelt bekommen, man nehme sie mit all ihren Fähigkeiten wahr. Wichtig sei, so Walter, dass sie ihre Kultur hier leben dürften.

Dem widersprach allerdings die gebürtige Russin Tatjana Fessler: Unter ihren Landsleuten gebe es einige, die eine Integration in die deutsche Gesellschaft nicht gerade anstrebten. Kai Hensel setzt auf Beschäftigung: Er leitet ein Projekt, das Flüchtlingen zum eigenen Fahrrad verhilft, in dem sie alte selbst instandsetzen. Er forderte: „Lasst die Leute arbeiten!“ Igbinovia Bright stammt aus Nigeria. Nach vier Monaten in Rottenburg las er eine Anzeige des Landratsamts, das Integrationshelfer suchte. So lernte er viele Menschen kennen und blühte auf im Wissen, gebraucht zu werden. Boris Nieswand wies letztlich drauf hin, dass Deutschland angesichts des demografischen Wandels dringend auf Einwanderung angewiesen sei. Und: Rund eine Million Menschen engagierten sich in der Integrationshilfe – sie fänden kaum Repräsentanz
in den Medien.

Dritte Runde: Was halten Sie von der derzeitigen Debatte? Renate Angstmann-Koch, Redakteurin des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTs, stört, dass suggeriert werde, die Leute müssten zu ihrem Glück gezwungen werden. Außerdem ärgerten sie „irrelevante Dinge“. Burkas finde sie auch nicht schön, aber sie halte eine Werbung für einen anderen Umgang zwischen den Geschlechtern für sinnvoller. Boris Nieswand, auch hier dabei, stellte fest, die Diskussion sei spätestens seit der Silvesternacht von Köln von Misstrauen geprägt. Er sorge sich, dass die von der AfD geschürte Angst zu einem Rückfall in Diskurse führe, die längst überwunden geglaubt waren. Eine Zuhörerin bedauerte, dass sich die Gemeinschaft der Ehrenamtlichen schlecht verkaufen würden – es gebe schlicht keinen Sprecher, der das Positive der Tätigkeit betonte.