Wirtschaftsfaktor Handwerk

„Vieles funktioniert nur zu zweit“

Renée Marie Sawall ist Auszubildende bei Brillinger Orthopädietechnik in Tübingen, nachdem sie erst angefangen hatte, Verpackungstechnik in Stuttgart zu studieren. Doch schnell war ihr klar: „Auf Dauer ist das nichts für mich.“

15.12.2017

Von TEXT: Simone Maier|FOTO: Erich Sommer

Im Schleifraum arbeitet Renée Sawall mit Schutzbrille und Gehörschutz an einer Unterschenkel-Stehorthese, die sie mit Feinschliff bearbeitet.

Im Schleifraum arbeitet Renée Sawall mit Schutzbrille und Gehörschutz an einer Unterschenkel-Stehorthese, die sie mit Feinschliff bearbeitet.

Bereut habe ich es noch nie,“ sagt Renée Maire Sawall lächelnd. Die Auszubildende bei Orthopädie Brillinger hat ihr Studium abgebrochen und eine Lehre angefangen. Aber der Reihe nach.

In Geislingen hat die 25-Jährige ihr Abitur gemacht und ging danach für ein Jahr als Au-pair nach London. „Very british“ war es dort in Kingston. Es war eine gute Erfahrung für sie, das „Auf-sich-selbst-gestellt-sein“ hat ihr gefallen und dazu noch in einer Metropole wie London. Schon früh hat sie sich Gedanken gemacht, ob sie studieren oder lieber eine Ausbildung absolvieren soll. Dann kam der Tag, an dem ihre Schwester eine Orthese benötigte. Im damaligen Sanitärhaus fand sie es spannend und es blieb irgendwie in ihrem Kopf hängen. Trotzdem hat sie sich auf die Suche nach Studiengängen gemacht und entschied sich, an der Fachhochschule in Stuttgart Verpackungstechnik zu studieren. Außerdem wollte sie nach dem Jahr in London weiterhin den eigenen Weg gehen. „Es musste jetzt nicht gerade Berlin sein, aber ich wollte gerne in eine größere Stadt,“ so Sawall. Glücklich in einer 2-er WG angekommen, hat sie dann auch tapfer zwei Semester studiert. „Am Anfang war es voll okay, vielleicht auch, weil alles neu war, aber so ganz zufrieden war ich nicht,“ resümiert sie. Letzten Endes waren ihr die Mathe-, Chemie- und Physikvorlesungen einfach zu theoretisch und so fing sie an, sich umzuhören. Ein Freund im Studium gab ihr dann den ausschlaggebenden Tipp, sich doch einmal das Orthopädiehaus Brillinger in Tübingen genauer unter die Lupe zu nehmen. „Das Studium ohne Alternative abzubrechen wäre nicht in Frage bekommen; ich war ja nicht todunglücklich. Aber toll war es auch nicht,“ so Sawall. Da kam der Tipp mit Brillinger in Tübingen gerade recht. Denn die Stadt sollte nicht zu klein sein und der Betrieb auch nicht. Prompt kam auf ihre Bewerbung eine Einladung zu einem dreitägigen Probearbeiten. Weg von der Theorie hin zur Praxis. Am ersten Tag musste sie einen Gipsfuß modellieren, am zweiten Tag einen Schuhlöffel „treiben“ und am dritten Tag sollten Nähübungen ausgeführt werden. Unter anderem musste sie eine Sattlernaht auf Leder von Hand machen. Kurz nach den Probetagen kam dann auch schon die Zusage für einen Ausbildungsplatz. Da war die Freude groß. „Es hatte mir ziemlich gut gefallen bei Brillinger. Ich war beeindruckt von der Werkstatt und auch vom Teamwork-Geist dort. Vieles im Handwerk funktioniert halt nur zu zweit,“ lächelt Sawall. Und so startete sie ihre Ausbildung im September 2014.

Dem WG-Leben ist sie treu geblieben. In Tübingen wohnt sie mit zwei Studentinnen zusammen. Gedanken wie: „ich mit meinen paar Tagen Urlaub und meine Mitbewohnerinnen mit ihren langen Semesterferien, hm,“ kommen zwar ab und zu auf, aber sie denkt einfach positiv und freut sich dafür umso mehr auf ihre Urlaubstage.

Bei Brillinger durchläuft sie alle Abteilungen. Von der Orthetik, Prothetik bis zu den Bandagisten. Dazwischen hat sie an der Kerschensteinschule in Feuerbach Blockunterricht und hat dort im Juni sehr erfolgreich ihre Gesellenprüfung mit 1,3 abgelegt.

Mittlerweile ist sie in der Orthetik-Abteilung beschäftigt und ist begeistert, was man alles machen kann. Jedes Stück ist eine Maßanfertigung. Für Kinder gibt es gerne mal bunte Orthesen, wobei ganz klar die Funktionalität immer an erster Stelle steht. Was braucht man, um einen solchen Beruf auszuüben? Renee Sawall denkt nach. „Handwerkliche Fähigkeiten sollte man besitzen. Sorgfalt und ein Gespür für Formen sind ebenso sehr wichtig. Die Schicksale der Patienten sind auch nicht immer ohne. „Am Anfang habe ich schon geschluckt, was für schlimme Sachen es gibt,“ so Sawall. Doch es gibt auch diese schönen Momente, in denen man dafür belohnt wird, was man tut. So hat sie eine Hirschfeldorthese (Stehorthese) für ein Kind mit Down-Syndrom gemacht. Als es zum ersten Mal in der Orthese stand, hat es sich riesig gefreut und bis über beide Ohren gestrahlt. „Endlich konnte es mal aufrecht stehen und mit seinen Händen arbeiten. Schön, wenn man so jemanden weiterbringen kann,“ so Sawall.

Man merkt, dass sie viel Herzblut in ihre Arbeit steckt und zufrieden mit ihrer Entscheidung ist. „Es war super, dass ich umgestiegen bin.“