Streit-Lust · Parkgebühr

Vieles beginnt als Schnapsidee

OB Boris Palmer verteidigt seine Pläne einer flächendeckenden Parkgebühr von 30 Euro im Monat, Hagellochs Ortsvorsteher Martin Lack ist kritisch.

06.07.2019

Von Gernot Stegert

Ist es nicht eine Schnapsidee, noch in der kleinsten Nebenstraße in allen Tübinger Teilorten Parkgebühren zu kassieren? Oberbürgermeister Boris Palmer will das (wie berichtet) und hält im „Streit-Lust“-Gespräch des TAGBLATTS dagegen: „Schnapsideen waren auch mal zum Beispiel, dass man Fußgängerzonen einrichtet und nicht mehr auf den Marktplatz fährt. Oder dass man Atomkraftwerke abschalten könnte. Am Anfang sind ungewohnte Dinge oft auch etwas, wo man sagt: So ein Blödsinn!“

Der Klimaschutz sei bei Strom und Heizen gut vorangekommen, nicht aber beim Verkehr, so Palmer. „Die Einsparungen, die wir erreichen, werden immer aufgefressen durch mehr und größere Autos.“ Das müsse anders werden, „wenn wir es mit dem Klimaschutz ernst meinen“. Die alte Denkweise „Busbenutzen kostet Geld, Autofahren kostet kein Geld“ müsse umgedreht werden. „Der Klimaschaden durch Autos muss bezahlt werden.“ Deswegen Parkgebühren überall, mit denen der OB den ticketlosen Busverkehr finanzieren will.

Um vom Auto umzusteigen, müsse erstmal das Angebot stimmen, entgegnet Martin Lack, Ortsvorsteher von Hagelloch. „Es gibt Mitarbeiter der BG Klinik, die an Wochenenden über eine Stunde mit dem Bus brauchen. Das ist nicht zumutbar.“ Denn dann fahre kein Bus direkt, sondern nur über den Busbahnhof. Palmer kündigt daraufhin an, die Verbindung nach Hagelloch wahrscheinlich zum Fahrplanwechsel im Winter zu verbessern.

Umfrage

Auch nutze eine Tübinger Insellösung nichts, sagt Lack. „Der lokale Ansatz ist ein typischer Palmer.“ Bei gutem Wetter radelt der Ortsbaumeister von Kirchentellinsfurt mit dem E-Bike zur Arbeit. Doch ganzjährig müssten Verbindungen mit Bus und Bahn von morgens bis in den Abend bestehen, mit denen Menschen ihr Ziel in einer vertretbaren Zeit erreichen können. Das gelte gerade für die Anschlüsse von Bus zu Bahn.

Palmer stimmt zu: Mit dem heutigen Busangebot könne man die Ausweitung der Parkgebühren nicht begründen. Sein Konzept sehe ein Drittel mehr Busfahrten vor. Aus einem Halbstundentakt solle ein viertelstündlicher werden und aus diesem eine Fahrt alle 10 Minuten. Der OB spricht von einer „Mobilitätsgarantie“. Landesverkehrsminister Winfried Hermann baue ja gerade das Bahnangebot aus. Mit der Regionalstadtbahn werde der Halbstundentakt unter anderem nach Kirchentellinsfurt eingeführt.

Palmer rechnet mit Kosten von etwa 15 Millionen Euro im Jahr für den Gratisbus: 6 Millionen Euro für die Ausweitung des Angebots und 8 bis 9 Millionen Euro für den Wegfall der Fahrkarteneinnahmen. Er geht davon aus, dass durch flächendeckende Parkgebühren von 30 Euro im Monat jährlich „ein höherer einstelliger Millionenbetrag“ hereinkomme.

Lack sagt, vor allem in den Teilorten sei das Auto derzeit nicht verzichtbar. Als vierfacher Familienvater sei das schwierig. Palmer will für solche Fälle das Carsharing-Angebot ausbauen. Das dürfe aber nicht zu teuer sein, so Lack, auch müsse ein Auto immer verfügbar sein.