Einzelhandel

Viele, viele Nasenabdrücke

Das Tübinger Schmuckgeschäft „Inflagranti“ hört nach 30 Jahren und vielen Miniatur-Darbietungen im Schaufenster auf.

07.03.2019

Von Ulla Steuernagel

Immer wieder neues Fenstertheater gab es bei „Inflagranti“ von Erich Baltzer (Bild).Bild: Ulrich Metz

Immer wieder neues Fenstertheater gab es bei „Inflagranti“ von Erich Baltzer (Bild).Bild: Ulrich Metz

Schaufenster schreien nach Aufmerksamkeit, sie buhlen mit markanten Inszenierungen, mit gut sichtbaren Arrangements um die Blicke der Passanten. Es geht aber auch komplett anders: mit kleinen feinen Stücken, mit Mikrolandschaften oder Strandszenen, die auch in die Hosentasche passen würden. In der Schmuckgalerie „Inflagranti“ in der Marktgasse 9 in Tübingen sind es gerade die Miniaturen, die die Passanten zum Stehen und zum Schauen bringen oder, wie es bald heißen muss, brachten.

Seit 30 Jahren gibt es diesen Schmuckladen in Tübingen, doch Ende des Monats wird er schließen. Sein Inhaber Erich Baltzer hört aus Altersgründen auf. „Wir schließen“, klebt nun groß und quer auf der Glasscheibe. Die Kundschaft trauert schon, wie das Gästebuch von Gudrun Schreiner-Baltzer und Erich Baltzer zeigt.

„Man kann mit Kleinem viel ausdrücken“, sagt Gudrun Schreiner-Baltzer, die auf die Idee kam, die Winzlinge, die man von Modelleisenbahnen kennt, im Schaufenster zu präsentieren. Sie suchte sie passend zu den Jahreszeiten und zu den lokalen Ereignissen aus. Im Sommer gab es echtes Gras und Urlaubsszenen, zum Bücherfest hatten auch die Miniaturwesen Lesestoff in den Händen.

„Auf Kinderhöhe musste ich immer die Nasenabdrücke wegputzen“, sagt Schreiner-Baltzer und freut sich über die Kinderschar, die, wie zur Illustration ihrer Worte, gerade vor der Schaufensterscheibe steht und die Figürchen betrachtet. Auch die Erwachsenen sieht man aus dem Ladeninneren oft in gebückter Haltung stehen; als würden sie einen Diener von den Inhabern machen. Dabei schauen sie nur nach unten zu dem Kleingewusel im Schaufenster.

Ja, und der Schmuck? Wurde er dann überhaupt entsprechend gewürdigt? Nun, die Aufmerksamkeit habe vielleicht zuerst den Figürchen gegolten, aber der Schmuck kam, so Schreiner-Baltzer, dennoch nicht zu kurz. Das Geschäft sei gut gelaufen, obwohl es in der Stadt nicht an Schmuckgeschäften mangelt.

Sie selber hat Malerei in Nürtingen studiert und näht seit einiger Zeit Figuren aus Papier als Glückwunschkarten. Auch diese fanden im Laden ihre kleinen Bühnen. In einen ähnlichen künstlerischen Richtung will Schreiner-Baltzer auch in Zukunft weitermachen.

Den Schmuck hoffen die Inhaber bis Ende des Monats größtenteils verkauft zu haben. Schon jetzt seien die Schubladen ziemlich leer und das obwohl Januar und Februar nicht die besten Monate fürs Schmuckgeschäft sind. Dass der Ausverkauf mit Sonderpreisen so gut läuft, „das hätte ich nie gedacht“, sagt die Ladeninhaberin. Normalerweise geht Schmuck vor allem an Weihnachten gut, und auch Verlobungen und Hochzeiten bringen Umsatz. Als Wertanlage ist Schmuck inzwischen nicht mehr gefragt. Egal, ob er aus edlen Metallen gefertigt ist oder nicht, er gilt eher als modisches Accessoire.

Und wieso heißt der Laden, den es bald nicht mehr gibt, „Inflagranti“? „Keine Ahnung“, sagt Schreiner-Baltzer. „Das hat auch nie jemanden interessiert.“ Und dann erinnert sie sich doch, dass ein italienischer Name zur Zeit der Ladengründung gerade schick war.