TAGBLATT-Gutenachtgeschichte

Viel Massel beim kühnen Unterfangen in Pfäffingen

Im Hof der Alten Kelter in Pfäffingen ließen sich fast 300 Leute von fidelem Klezmer, kriminalistischem Spürsinn eines Rabbi und badischem Humor fesseln.

10.08.2022

Von Uschi Hahn

Der Hof der Alten Kelter bot ein lauschiges Ambiente für den Pfäffinger Abstecher der TAGBLATT-Gutenachtgeschichte. Die Band Ortef stimmte das Publikum mit fidelen Klezmer-Weisen auf die Vorleser Bernd Will (Bildmitte vorne) und Tilmann Knödler (dahinter) ein. Bild: Ulrich Metz

Der Hof der Alten Kelter bot ein lauschiges Ambiente für den Pfäffinger Abstecher der TAGBLATT-Gutenachtgeschichte. Die Band Ortef stimmte das Publikum mit fidelen Klezmer-Weisen auf die Vorleser Bernd Will (Bildmitte vorne) und Tilmann Knödler (dahinter) ein. Bild: Ulrich Metz

Man sagt das ja so: Das halbe Dorf war auf den Beinen. Aber wer am Montagabend kurz vor 19 Uhr auf der Pfäffinger Dorfstraße unterwegs war, konnte wirklich den Eindruck gewinnen, als ob sich ein nennenswerter Teil der Pfäffinger Bevölkerung auf den Weg in den Hof der Alten Kelter gemacht hatte. Die Profis im Publikum kamen mit Sitzpolster oder brachten sich gleich den eigenen Campingstuhl mit. Keine schlechte Idee. Denn die 130 Stühle, die das Team vom Förderverein alte Kelter für die TAGBLATT-Gutenachtgeschichte in den von der Abendsonne malerisch ausgeleuchteten Hof in Reihen aufgestellt hatte, waren schon lange vor Beginn besetzt. Eilig wurden Bierbänke und -tische als weitere Sitzgelegenheiten herbeigetragen. Schließlich hatten es sich an die 300 Besucherinnen und Besucher bequem gemacht.

„Schön, dass so viele da sind“, begrüßte Hans Hebart vom Förderverein das Publikum. Es seien zwar „mehr als erwartet, „aber wir gehen damit um.“ Der Aufforderung zum Tanz, fidel intoniert von Siggi Keppeler, Hans-Christoph Böhringer, Siegfried Härer und Werner Roth, folgte dann zwar niemand. Doch das Klezmer-Spiel der Band Ortef war der passende Appetithappen für den ersten Vorleser.

Der Rabbi auf dem Rennrad

Der Musik aus dem jiddischen Städel folgte ein literarischer Exkurs ins Leben einer jüdischen Gemeinde im heutigen Deutschland. Pfäffingens evangelischer Pfarrer Tilmann Knödler, der für sein Vorlesedebüt extra seinen Urlaub verschoben hatte, stellte dem Publikum seinen jüdischen Kollgen, den liberalen Frankfurter Rabbiner Henry Silberbaum vor, die Hauptfigur aus Michel Bergmanns Reihe „Der Rabbi und der Kommissar“.

„Die Auswahl der Lektüre habe ihm angesichts der Weltlage „einiges Kopfzerbrechen“ beritet, bekannte Knödler. Doch er sei als Krimiliebhaber Fan von Bergmann, der als Kind jüdischer Eltern 1945 in einem Internierungslager in der Schweiz geboren wurde und nicht nur Romane schreibt, sondern auch Drehbücher – zum Beispiel für „Otto – der Katastrophenfilm“. „Du sollst nicht Morden“ heißt der erste Band aus der Serie über Silberbaum, der kein Rabbi ist wie er im Buche steht, sondern wie Knödler Krimis liebt und ansonsten auf Polohemden, seine Espressomaschine und sein Rennrad steht. Als eine alte Dame, eine Auschwitz-Überlebende, aus Silberbaums Gemeinde stirbt, beginnt der Rabbi zu ermitteln. Bergmanns humorvolle Schreibe, die bisweilen auch sarkastische Untertöne hat, brachte Knödler wunderbar rüber in den drei Ausschnitten, die er am Montag vorlas. Jedenfalls notierten sich viele im Publikum Titel und Autor und horchten auf, als Knödler verriet, dass Bergmann in seiner Silberbaum-Reihe nach dem Auftakt mit „Du sollst nicht morden“ alle zehn Gebote durchdeklinieren wolle.

Mit „a bissele Massel, a bissele Glück“ leitete Ortef die Pause ein. Eine Pause, die das Publikum gut gebrauchen konnte. In der sommerlichen Hitze flossen Sprudel, Bier und Wein in Strömen die durstigen Kehlen hinunter. Und auch die Spendenhüte füllten sich: 1237 Euro kamen zusammen, 700 davon gehen an die Rottenburger Tafel, der Rest ist für den Förderverein der Alten Kelter.

Nach der Pause Genrewechsel: Ortef ließ Irish Folk erklingen. Was dann folgte, war allerdings keine Sage von der grünen Insel. Bernd Will, Klinikarzt im Ruhestand, den es schon als Student Anfang der 70er Jahre von Karlsruhe nach Tübingen verschlagen hat, stellte mit dem Autor Harald Hurst vielmehr einen Landsmann vor, den er vor vielen Jahren in einer Bücherkiste entdeckt hat.

Das Wesen der Hausschlachtung

Verse eines badischen Mundartdichters also, der zwar den Thaddäus-Troll-Preis hat aber auch schon zum Badener des Jahres gekürt wurde: Das ausgerechnet im urschwäbischen Pfäffingen vorzulesen, sei ein „kühnes Unterfangen“, kommentierte launig Hans Hebart als Moderator. Doch Will traf mit Hursts pointierten Porträts seiner badischen Landsleute den Nerv des Publikums. Auch wenn es die eine oder andere Zuhörerin etwas gruselte beim Poem über die Hausschlachtung. In schönstem Badisch, von Will dialektsicher vorgetragen, heißt es da: „Am beschte schmeckt’s halt doch frisch tot.“ Vollends die Lacher hatte Will auf seiner Seite, als er furztrocken bemerkte: „Hausschlachtung ist halt doch ein Gemeinschaftserlebnis, wenn man nicht die Sau ist.“ Das hätte so auch von einem Schwaben kommen können.

Nächste Station Nehren: Die Gutenachtgeschichten des TAGBLATTS sind nach dem Start in Tübingen inzwischen auf ihrem Weg durch den Kreis. Am heutigen Mittwochabend steht der Lesesessel in Nehren, dem Heimatdorf des TAGBLATT-Mitarbeiters Jürgen Jonas. Der gelernte Buchhändler und Autor wird ab 19 Uhr auf dem Viehmarkt bei der Schule die Lesungen moderieren. Lesen werden Sören Frommer und Sybil Harding, Veranstalter vor Ort ist das Kulturforum Nehren.

Die Bücher

„Der Rabbi und der Kommissar: Du sollst nicht modern“ von Michel Bergmann ist als Taschenbuch im Heyne-Verlag erschienen. Inzwischen liegt der zweite Band der Zehn-Gebote-Reihe vor. Untertitel: „Du sollst nicht begehren“.

Von Harald Hurst sind seit seinem 1981 veröffentlichten Erstling „Lottokönig“ etliche Bände mit Geschichten und Gedichten erschienen. Die letzten beiden Bücher „Mol gucke“ 2015 und „So isch’s wore“ 2017 im Silberburgverlag.

In der Ammerbucher Gemeindebücherei sind beide Autoren vertreten.