Die Zukunft der Kahnfahrt

Verwaltung und Stocherer sprachen über Probleme auf Tübingens Neckar

Wer soll künftig einen Liegeplatz für seinen Stocherkahn bekommen? Was muss an den Einstiegsstellen verbessert werden? Diese Fragen diskutierten bis zu 30 Kahnbesitzer mit der Stadtverwaltung. Wir haben Beteiligte nach ihren Eindrücken und Positionen gefragt.

25.12.2015

Von Jonas Bleeser

Die Kahngerechtigkeit ist schon lange Thema unter den Stocherern. Im kommenden Jahr sollen Lösungen her. Bild: Leins -

Die Kahngerechtigkeit ist schon lange Thema unter den Stocherern. Im kommenden Jahr sollen Lösungen her. Bild: Leins -

Tübingen. An drei Abenden trafen sich Vertreter der Tübinger Stadtverwaltung und bis zu 30 Stocherkahnbesitzer, um die Probleme mit Tübingens Kahn-Schifffahrt zu besprechen – vom Neckarzugang bis zur Sicherheit auf dem Wasser. Die Stadtverwaltung wollte dabei die Stocherer miteinander ins Gespräch bringen und gleichzeitig erfahren, wem was besonders wichtig ist. Im kommenden Jahr soll es dann eine Vorlage für den Gemeinderat geben, damit dieser neue Regeln für den Fluss beschließt. Eingeladen waren Vertreter der verschiedenen Kahnfahrer-Gruppen: Privatleute, Vereine, Verbindungen und andere studentische Gruppen und kommerzielle Stocherer.

Die Ausgangslage: Stocherkahnfahren ist in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Die Zahl der Liegeplätze hat sich jedoch seit langem nicht erhöht. Derzeit sind es 122. Gleichzeitig wuchs die Warteliste derer, die einen beantragt haben, aber nicht zum Zuge kommen, auf über 50 Antragsteller. Außerdem klagen nicht nur berufliche Stocherer über die Situation an den Einstiegstellen. Besonders am Hölderlinturm verlangen sie Toiletten und bauliche Verbesserungen.

Das größte Problem: Die Kahn-Gerechtigkeit. Bislang kommen bei der Vergabe alle zwei Jahre nur die zum Zug, die bereits einen Liegeplatz haben. Und die nutzen ihr Privileg höchst unterschiedlich: Manche Kähne sind fast täglich unterwegs, andere liegen nach starken Regenfällen wochenlang vollgelaufen im Wasser.

Die Lösungsansätze: Diskutiert wurden bei dem Arbeitstreffen unter anderem das Windhund-Prinzip (an einem Stichtag kriegen die einen Liegeplatz, die sich zuerst gemeldet haben) und ein Rotationsprinzip, mit dem die Stadtverwaltung liebäugelt. Dabei würden die Plätze alle zwei Jahre neu vergeben – und es kämen jeweils andere Antragsteller zum Zug.

In seiner Reinform dürfte das aber nicht kommen. Abgesehen davon, dass lange Trockenzeiten Kähnen nicht gut bekommen, träfe es einige Gruppen besonders hart. Professionelle Stocherer bestreiten ihren Lebensunterhalt auf dem Neckar und sind fester Bestandteil der touristischen Infrastruktur Tübingens. Ohne Liegeplatz hätten sie dazu keine Möglichkeit mehr. Studentische Gruppen tragen eines der wichtigsten Großereignisse im Tübinger Veranstaltungskalender – das Stocherkahnrennen. Ohne Liegeplatz könnten sie weder dafür trainieren noch daran teilnehmen. Und der Stocherkahnverein mit seinen über 300 Mitgliedern sowie Kahngemeinschaften schaffen für viele einen Zugang zu Kähnen, den sie sonst nicht hätten. Diskutiert wurde darum, ob es möglich wäre, diese Gruppen von einem Rotationsprinzip auszunehmen. Die Stadtverwaltung will nun prüfen, ob das ein rechtlich möglicher Weg wäre, das Verfahren zu reformieren, ohne bewährte und gewachsene Strukturen zu beschädigen.

Bastelbogen des Tübinger Verkehrsvereins. Bild: Metz

Bastelbogen des Tübinger Verkehrsvereins. Bild: Metz

Das sagen die Beteiligten:

Insgesamt berichteten alle von uns befragten Teilnehmer, die Atmosphäre der Gesprächsrunde sei konstruktiv und konzentriert gewesen. Stellvertretend für einige wichtige Nutzergruppen nun ihre Einschätzung:

Matthias Leyk vom Verein „Pro Stocherkahn“, in dem sich Profi-Stocherer zusammengeschlossen haben, lehnt angedachte höhere Gebühren für die Profis nicht grundsätzlich ab: „Wer mehr zahlt, verlangt aber auch mehr Einsatz der Stadtverwaltung.“ Er erhofft sich vor allem Verbesserungen an den Anlegestellen und bei der Sicherheit auf dem Wasser. „Um Boote vor Treibgut zu schützen, könnte man schwimmende Balken vor den Liegeplätzen befestigen“, schlägt er vor. Außerdem fordert er Wasserstandspegel, die online einsehbar sind – dann könnte bei Hochwasser der Bootsverkehr eingestellt werden.

Andreas Strecke vom Arbeitskreis Tübinger Verbindungen ist wichtig, dass studentische Gruppen (dabei schließt er auch Fachschaften und Wohnheime ein) keine Plätze abgeben müssen: „Ohne die Korporationen gäbe es keine Kähne in Tübingen. Den Trägern des Brauchtums muss Vorrang eingeräumt werden.“ Er befürwortet auch einen in der städtischen Arbeitsgruppe ins Spiel gebrachten Ein- und Ausstiegsplatz auf der Platanenallee Richtung Eberhardsbrücke: „Der wäre über den Indianersteg barrierefrei erreichbar.“

Wolf Gugel, Vizevorsitzender des Stocherkahnvereins ist gespannt, wie die Verwaltung die gegensätzlichen Positionen zur Kahn-Vergabe unter einen Hut bringen will: „Prinzipiell ist das die Quadratur des Kreises. Es sollte keine zu bürokratische Lösung dabei herauskommen. Das Kahnfahren ist vor allem eine Freizeitbeschäftigung – und soll Spaß machen.“

Tübingens Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast ging es vor allem darum, „zuzuhören, wer was für wichtig erachtet. Ich habe viel gelernt.“ Die Verwaltung habe viele Prüfaufträge mitgenommen. Nun sollen sie in eine Vorlage für den Gemeinderat einfließen, die im Frühjahr fertig sein soll. Dann könnten die Liegeplätze für 2017 nach einem neuen Verfahren vergeben werden – wie auch immer das im Detail aussehen wird. Eines ist ihr dabei besonders wichtig: „Es muss rechtlich wasserdicht sein.“