USA

Zum Lernen im Silicon Valley

Baden-Württemberg versucht, die Digitalisierung voranzutreiben. Was möglich ist, erfährt Ministerpräsident Kretschmann am US-Hightech-Standort.

20.09.2018

Von JENS SCHMITZ

Baden-Württembergs Delegation in Kalifornien. Foto: Jana Höffner / Staatsministerium Baden-Württemberg

Baden-Württembergs Delegation in Kalifornien. Foto: Jana Höffner / Staatsministerium Baden-Württemberg

Santa Clara. Der Weg zu den Sternen führt über eine Bühne mit abgewetztem Orientteppich: Beim Risikokapitalgeber Plug and Play im kalifornischen Sunnyvale stellen pro Jahr tausende hoffnungsvoller Jungunternehmer ihre Geschäftsidee vor. Die 25 bis 30 besten werden in ein Gratisprogramm aufgenommen, das Arbeitsplatz und Betreuung, vor allem aber Kontakt zu Investoren und Weltfirmen vermittelt. Plug and Play investiert selbst in die Start-ups – bei der erfolgreichsten Beteiligung Dropbox wurden aus Anteilen für 100?000 Dollar (85?600 EUR) ein Verkaufspreis von 100 Mio. Dollar (85,6 Mio. EUR). Das Geld fließt in neue Investitionen.

„Wirklich revolutionär“ sei diese Form der Starthilfe, schwärmt Sangeeta Agarawal, die auf diese Weise eine Gesundheitsapp auf den Markt gebracht hat. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) klingt dagegen nicht immer so euphorisch. „Was nehmen wir da raus, damit wir uns nicht erschießen müssen, wenn wir nach Hause kommen?“, grübelt er auf seiner Silicon-Valley-Tour zwischendurch vor Reportern.

Im Rahmen der aktuellen Nordamerika-Reise des Regierungschefs schwärmen fast 100 Baden-Württemberger zwei Tage lang im Silicon Valley aus und verteilen sich auf Technologietreiber wie Cisco, Intel oder NVIDIA. Sie diskutieren mit Hochschulen, Venture-Capital-Gebern und Start-up-Betreibern.

Zwei Themen sorgen immer wieder für Irritation: erstens die ungeheuren Summen, die im Silicon Valley für Investitionen bereitstehen; zweitens das Tempo, mit dem die Künstliche Intelligenz sich unter diesen Bedingungen entwickelt.

Bis zu 75 Mrd. Dollar (64 Mrd.?EUR) an Risikokapital werden rund um Santa Barbara und San Francisco pro Jahr investiert, lernen die Baden-Württemberger, ein Viertel des Venture Capitals weltweit. In ganz Deutschland sind nur 8 Mrd. Dollar.

Silicon-Valley-Experte Mario Herger sieht den Zug in manchen Branchen schon abgefahren: Seit 2013 seien 80 Mrd. Dollar (68 Mrd. EUR) in die Entwicklung autonomer Fahrzeuge gesteckt worden. Im Silicon Valley fahren inzwischen 57 lizenzierte Unternehmen mit mehr als 1000 selbstfahrenden Testmobilen herum.

Selbstfahrende Autos müssen alles um sie herum in Sekundenschnelle verstehen können. Dabei geht es längst nicht mehr um Fahrbahnbegrenzungen, sondern um die Absicht anderer Verkehrsteilnehmer: Der Chipdesigner NVIDIA führt Geräte vor, die 16?000 Blumen in der Sekunde identifizieren können – oder Gesichter. Menschliche Profis im Lippenlesen interpretieren rund 52 Prozent des Gesagten richtig; Computer kommen inzwischen auf 93 Prozent. Durch den Nachbau neuronaler Strukturen lernen Künstliche Intelligenzen von selbst, und das immer schneller.

Der Ministerpräsident war 2015 schon einmal im Silicon Valley. Seit damals sind Zentren zum Thema Künstliche Intelligenz in Karlsruhe und dem Cyber Valley in Stuttgart und Tübingen entstanden. Auch mit der Digitalisierungsstrategie, ihrer Start-up-Kampagne, dem Gesundheitsforum oder dem Strategiedialog Automobilwirtschaft sieht sich die Regierung besser aufgestellt als andere Bundesländer.

Angesichts der rasanten Vernetzung der Wirtschaftswelt will Winfried Kretschmann darüber nachdenken, ob auch die Struktur seiner Verwaltung aufgebrochen gehört. Vor allem aber dürfe Baden-Württemberg seine Stärken nicht vergessen: „Wir haben die Dinge“, sagt er. Von der Industrielandschaft über den Anlagenbau bis zur Biotechnologie und Medizin gelte es, diese Dinge an die digitale Welt anzudocken. „Dann haben wir die Chance, in die Champions League aufzusteigen.“

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Erstellt:
20.09.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 34sec
zuletzt aktualisiert: 20.09.2018, 06:00 Uhr

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