Leitartikel

Vertrauen entscheidet

Vertrauen in Autoritäten ist ein wichtiges Gut in der Pandemie. Es kann aber auch schnell verloren gehen, wenn Menschen das Gefühl bekommen, dass die Maßnahmen nicht wirken.

19.11.2020

Von DOMINIK GUGGEMOS

Berlin. Autoritätshörig zu sein, hat keinen guten Ruf. Nur wenige Menschen gestehen sich dieses Attribut in der Selbstwahrnehmung zu. Lieber will man ein Freigeist sein, der alles hinterfragt. Ganz so einfach ist es aber nicht. Auf Autoritäten zu hören, kann bei zwielichtigen Autoritätspersonen definitiv gefährlich sein, es kann aber auch gesellschaftliche Vorteile haben. In einer Pandemie kann es sogar Leben retten, wenn es dazu führt, dass man Maske trägt und Abstand hält. Das kann man aus Überzeugung tun – oder weil die Kanzlerin es sagt.

Der Wunsch nach Autorität ist immer auch eine Suche nach Sicherheit: physisch, intellektuell, emotional. Monotheistische Religionen bauen nicht zufällig seit Jahrtausenden darauf an, in Kontakt mit dem einen allmächtigen Wesen, also sozusagen der absoluten Autorität, zu stehen. Es geht auch eine Nummer kleiner: Ärzte des Vertrauens sind Autoritätspersonen, wenn es um die eigene Gesundheit geht. Allerdings, und hier lässt sich der Bogen zur Politik schlagen: Wenn ein Arzt zwei- oder dreimal die falsche Behandlung vorschlägt, ist das Vertrauen und damit die Autorität schnell weg.

Wenn die, die nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus dem Vertrauen in die Autorität heraus die Corona-Maßnahmen mitmachen, das Gefühl bekommen, dass diese nicht wirken, kann die Stimmung kippen. Je nach Persönlichkeit kann dann die Antwort für einige dann so aussehen, dass sie sich einen starken Führertyp wünschen, der Resultate liefert – egal zu welchem Preis. Bei der „Querdenken“-Demo in Berlin im Sommer wurde „Putin, Putin“ skandiert.

Das mögen extreme Reaktionen einer in Teilen extremem Bewegung sein. Man darf aber nicht unterschätzen, welches Potenzial es für autoritäre Menschenfänger in Deutschland gibt. Laut den neuesten Ergebnissen der Langzeitstudie zum Autoritarismus der Universität Leipzig stimmen über 48 Prozent der Deutschen der Verschwörungstheorie: „Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige von ihr profitieren können“ zu. In den ostdeutschen Bundesländer sind es sogar 64 Prozent, also fast zwei Drittel der Bevölkerung.

Falls der „Lockdown light“ weiterhin keinen durchschlagenden Erfolg haben sollte, wären die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten gut beraten, sich neuen Denkansätzen zu öffnen, statt die Maßnahmen, die bisher keinen Wellenbrecher darstellen, zu verschärfen. Ansonsten könnte bei mehr Menschen, als es Angela Merkel lieb sein kann, das Bonmot „Wahnsinn ist es, dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten“ zum neuen Corona-Motto werden. Die besten und klügsten Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung bringen nichts, wenn viele Menschen sie weder aus Überzeugung, noch aus dem Vertrauen an die Autorität heraus umsetzen. Der beste Weg, Menschen mitzunehmen, ist es, ihnen das Gefühl zu vermitteln, mitbestimmen zu können. Dann sind sie die Autorität. Durch die Verkündung von Beschlüssen, die hinter verschlossenen Türen ausgemacht wurden, gelingt das sicher nicht.

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