Tübingen

Nach versuchtem Farbanschlag: Durchsuchung in Wohnprojekt

Die Tübinger Polizei hat vergangene Nacht am Landgerichtsgebäude in der Tübinger Doblerstraße eine Frau und einen Mann festgenommen. Sie sollen einen mit Farbe gefüllten Feuerlöscher dabei gehabt haben. Am Dienstag durchsuchten starke Polizeikräfte Teile eines Tübinger Wohnprojekts.

04.02.2020

Von job/itz

In der Tübinger Ludwigstraße durchsucht die Polizei mit einem Großaufgebot das alternative Wohnprojekt „Lu 15“. Bild: Moritz Hagemann

In der Tübinger Ludwigstraße durchsucht die Polizei mit einem Großaufgebot das alternative Wohnprojekt „Lu 15“. Bild: Moritz Hagemann

Kurz nach 12 Uhr traf ein Großaufgebot der Polizei am Dienstag beim alternativen Wohnprojekt „Lu 15“ in der Tübinger Ludwigstraße ein. „Plötzlich wurde die Straße von der Polizei geflutet“, schilderte einer der 28 Bewohner dem TAGBLATT die Situation. Teils vermummt durchsuchten die Beamten mehrere Räume und den Außenbereich.

Auslöser waren zwei Festnahmen kurz nach 0 Uhr in der Nacht zum Dienstag. Laut einer gemeinsamen Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft hatte eine Polizeistreife zufällig zwei Personen bemerkt, die gerade die Fassade des Gerichtsgebäudes in der Doblerstraße beschmieren wollten. Dazu hätten sie mit einem Feuerlöscher hantiert, der mit Farbe gefüllt war. Der habe aber nicht funktioniert. Die Polizei nahm die 23-Jährige und den 24-Jährigen fest und stellte den Feuerlöscher sicher. Der Mann sei bereits wegen Sachbeschädigung vorbestraft.

Wie ein Polizeisprecher sagte, ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die sich schwerpunktmäßig um Staatsschutzdelikte kümmert. Am Dienstag wurden die Wohnungen der beiden Tatverdächtigen aufgrund richterlicher Beschlüsse durchsucht. Die 23-Jährige wohnt in der „Lu 15“, wie die Reutlinger Polizei bei „Twitter“ schrieb. Die beiden Verdächtigen machten von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Am Dienstagmittag kamen sie wieder auf freien Fuß.

Die Polizei habe bei den Durchsuchungen nicht näher genannte Beweismittel gefunden, die mit anderen Straftaten in Zusammenhang stehen könnten: mit den Farb-Anschlägen auf ein Tübinger Autohaus und den Polizeiposten in der Südstadt. Auch eine Verbindung zum Brand- und Farbanschlag auf die Tübinger Freikirche TOS-Gemeinde werde geprüft. Was genau sichergestellt wurde, teilte die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen nicht mit.

„Krass überzogen“ fand indes ein Bewohner der „Lu 15“ den gestrigen Einsatz mit mindestens acht Fahrzeugen: „Wir wussten gar nicht, was abgeht.“ Das Wohnprojekt erklärte am Abend in einer Pressemitteilung, dass auch Räume von Unbeteiligten durchsucht worden seien. Die „Lu 15“ wirft der Polizei vor, sich nicht an die Regeln einer Hausdurchsuchung gehalten und ihr – entgegen der Absprache – keine Liste der gesicherten Beweismittel übergeben zu haben. Nach Angaben der Bewohner seien etwa 70 Beamte vor Ort gewesen.

Während des Einsatzes drang laute, gegen die Polizei gerichtete Musik aus dem Haus – etwa das Lied „Bullen, Schweine“ der Band SDP und des Rappers Sido. „Das ist unsere Art, der Wut Ausdruck zu verleihen“, sagte ein Bewohner. Polizisten, die das Haus verließen, wurden von lautstarken „Haut ab!“-Sprechchören begleitet. Es hielten sich Gerüchte, die Beamten hätten auch in der Schelling- und Hegelstraße Wohnungen durchsucht, was die Pressestelle der Polizei aber bereits am Nachmittag dementiert hatte.

Nach dem Einsatz wurde zu einer Spontandemo am Dienstagabend aufgerufen. Etwa 100 Menschen versammelten sich in der Karlstraße, zogen in die Innenstadt und wieder zurück. Sie protestierten lautstark gegen den „Bullenstaat“ und beleidigten die Polizei. Dabei zündeten die Demonstranten Raketen auch in Richtung anderer Personen, weshalb die Polizei den Zug mit mehreren Kräften begleitete. Es ging emotional zu, Festnahmen habe es nach Auskunft eines Sprechers aber nicht gegeben.

Im Visier der Polizei

Schon seit vielen Jahren ist die „Lu 15“ auf die Polizei nicht gut zu sprechen. Im Juli 2016 wurde das Haus fast den kompletten Monat in den Nächten videoüberwacht, was die Staatsanwaltschaft nach vielen Diskussionen aber erst im Oktober 2017 einräumte. Damals wurde aufgrund von vier angezündeten Autos in Tübingen ermittelt. Weil die Polizei mit entsprechenden Reaktionen rechnete, sei sie am gestrigen Dienstag mit einem Großaufgebot angerückt.