Ein schräger Held

Ute Mihr machte bei der Gutenachtgeschichte in Pfrondorf Lust auf Autor Kai Weyand

Hintersinniger Humor zog sich wie ein roter Faden durch den Vorleseabend in Pfrondorf. Zum sechsten Mal machte der Lesesessel des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTS dort am Donnerstagabend Station. Wegen des angekündigten schlechten Wetters saßen die knapp 100 Zuhörer/innen im trockenen Musikzentrum statt auf dem Dorfplatz.

06.08.2016

Von Christiane Hoyer

Zum Auftakt ein Klassiker: Ulrich Bayer las im Musikzentrum Pfrondorf Kurzgeschichten von Thaddäus Troll. Bild: Sommer

Zum Auftakt ein Klassiker: Ulrich Bayer las im Musikzentrum Pfrondorf Kurzgeschichten von Thaddäus Troll. Bild: Sommer

Pfrondorf. Ein wenig Improvisationsgeschick mussten die Mitveranstalter – der Pfrondorfer Verein „das Netz“ – schon an den Abend legen, um auf die Schnelle Ersatz für einen eigentlich vorgesehenen Vorleser zu finden. Doch mit Uli Bayer fand man flugs einen Mann, der gerne vorliest, wenn auch bislang eher seinen Enkeln. Und musikalisch sprang das Sängerinnen- Trio Dreiklang mit Bert Klein am Klavier ein. Irene Jantzen (Sopran), Birgit Vona (Mezzo-Sopran) und Renate Hallmayer (Alt) hatten am Montag bereits in Bühl mit eigenen Versen auf bekannte Melodien wie „Der Mond ist aufgegangen“ oder „Fever“ brilliert und lockerten das Vorlese-Geschehen auch in Pfrondorf souverän auf. Auch Harry Belzl trug mit seinen kurzen Humoresken von Heinz Erhardt dazu bei, dass die Zuhörer anderthalb kurzweilige Stunden genießen konnten.

Anders als Harry Belzl es am Donnerstagabend machte, wollen wir aber der Vorleserin den Vortritt lassen. Ute Mihr, studierte Anglistin und Slawistin und Übersetzerin, hatte sich mit Kai Weyand einen modernen Autor ausgesucht, den sie wegen seines „absurden Humors“ und seines „schrägen Helden“ besonders schätzt. Weyand war 2015 für den Deutschen Buchpreis nominiert, und sein Roman „Applaus für Bronikowski“ war an diesem Vorleseabend ein Highlight. Mihr las trocken, wusste die vorgetragenen Stellen gekonnt miteinander zu verbinden und machte Lust auf mehr. Weyands schräger Held beschließt, sich im Alter von 13 Jahren einen anderen Namen zuzulegen. Weil die Eltern ohne ihn und den leistungsorientierten Bruder nach Kanada auswandern, gibt er sich den Rufnamen „NC“, was so viel bedeutet wie „No Canadian“. Beim letzten Essen mit dem Vater vor dessen Auswanderung sagt dieser dazu lobend: „Gut, dass du kreativ mit der Situation umgehst“.

An seinem 31. Geburtstag findet NC auf einem Spaziergang seine zukünftige Arbeitsstätte als Bestattungshelfer. Und zwar ausgerechnet in der Holpenstraße, die ihm eine Bäckereifachverkäuferin empfohlen hatte, um einen anderen Spazierweg zurückzulaufen. Wie es NC gelingt, einer Toten doch noch die gewünschte Seebestattung an Land zukommen zu lassen, ließ die Vorleserin offen. Sicher hat sie damit aber etliche Zuhörer neugierig auf das Buch des in Freiburg lebenden Publizisten gemacht.

Mit seinem Autor hat Uli Bayer, der als Erster lesen durfte, den Nachnamen gemeinsam. Thaddäus Troll war der Künstlername von Hans Bayer. Den Stuttgarter Schriftsteller und Humoristen kennt vor allem die ältere Generation. Troll, Jahrgang 1914, beging 1980 Suizid. Er litt unter schweren Depressionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitete er auch als Journalist für den „Spiegel“, in der NS-Zeit schrieb er antisemitische Bildreportagen, für die er später heftig kritisiert wurde.

Bekannt wurde Troll vor allem durch seine humorigen Mundartgeschichten. Uli Bayer hatte sich am Donnerstag aber bewusst für zwei Kurzgeschichten entschieden, die Troll nicht in Mundart verfasst hatte. „Das bissfreudige Rotkäppchen“ ist eine Wortspielerei mit Werbeslogans und Fachjargon aus der Versicherungsbranche, die heuer reichlich angestaubt daherkommt. Die „Notizen des Soltauer Stadtschreibers“ dagegen spielen in der Lüneburger Heide. Troll lässt seinen Stadtschreiber Landschaft und Leute schildern und stellt Ähnlichkeiten zwischen Niedersachsen und Schwaben fest: Beide „sind maulfaul und neigen nicht zum Tratsch“. Der Vorleser Bayer war selbst als 18-Jähriger mal in Soltau, ist durch die Lüneburger Heide vorbei am Truppenübungsplatz gewandert – und natürlich zum Grab des Heimatdichters Hermann Löns.

Auch in Pfrondorf ließ man wieder den Spendenhut durch die Reihen wandern – und freute sich am Ende über gut 240 Euro. Das Netz möchte mit dem Geld ein „Schwalbenhotel“ bauen. Weil es auch in Pfrondorf immer weniger Scheuern gibt, unter deren Dächern die Schwalben nisten können, so Belzl, sollen sie jetzt Ersatz bekommen – vielleicht an der Mauer des alten Pfrondorfer Friedhofs.