Kunstturnen

„Unser System ist unbestechlich“

Bundestrainerin Ulla Koch spricht im Interview über die Bundesliga, die Stärke der baden-württembergischen Teams und die Vorbereitung auf die Heim-WM in Stuttgart.

14.05.2019

Von MANUELA HARANT

Will vor der Heim-Weltmeisterschaft in Stuttgart nichts dem Zufall überlassen: Kunstturn-Bundestrainerin Ulla Koch. Foto: Pressefoto Bauman/imago images

Will vor der Heim-Weltmeisterschaft in Stuttgart nichts dem Zufall überlassen: Kunstturn-Bundestrainerin Ulla Koch. Foto: Pressefoto Bauman/imago images

Wenn im Bundesliga-Wettkampf wie zuletzt in Ulm die größten deutschen Turnstars fehlen, kann das nur eins bedeuten: Es geht langsam auf die Olympischen Spiele zu. Die letzte Chance zur Qualifikation dafür haben die deutschen Kunstturnerinnen bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart (4. bis 13. Oktober). Deutschland muss unter die besten neun Teams kommen, um in Tokio 2020 dabei zu sein. Bundestrainerin Ulla Koch erklärt im Interview, wie ihre Pläne bis zur Heim-WM aussehen und warum sie den internen Konkurrenzkampf bis zum Schluss offen hält.

Frau Koch, warum haben beim Bundesliga-Wettkampf in Ulm die deutschen EM-Teilnehmerinnen gefehlt?

Ulla Koch: Alle sind gesund, das hat nur mit der WM zu tun. Es war so geplant, dass die Weltcup- und EM-Teilnehmer in diesem Bundesliga-Wettkampf nicht am Start sind. Elisabeth Seitz und Kim Bui zum Beispiel konzentrieren sich jetzt noch aufs Studium, weil das ab Juni dann hintenan gestellt ist. Die Jüngeren wie Sarah Voss oder Tabea Alt müssen vorher noch ihre Schulabschlüsse machen. So sieht es die duale Ausbildung aus Sport und Beruf vor.

Dabei kommt die Hälfte aller Bundesliga-Teams aus Baden-Württemberg, drei von ihnen rangieren aktuellauf den ersten vier Plätzen. Woher kommt diese „Macht“ des Südwestens im deutschen Frauenturnen?

Die Kaderdichte in Baden-Württemberg ist riesengroß, und es gibt ein sehr gutes Konzept, Leistungssport zu entwickeln. Das ist in Deutschland federführend neben Sachsen.

Und was wird hier besser gemacht als im Rest von Westdeutschland?

Das Turnen ist hier sehr professionell aufgestellt, hat im Umfeld um die Trainer und Stützpunkte ein sehr gutes Management mit sehr vielen erfahrenen Leuten. Dadurch gibt es wie in Stuttgart auch sehr viele Synergieeffekte, beispielsweise mit Trampolin und Rhythmischer Sportgymnastik. Daneben fördert das Land Baden-Württemberg enorm, und die beiden Verbände Badischer und Schwäbischer Turnerbund arbeiten zudem sehr eng zusammen. Da kann man die Kräfte gut bündeln. Das macht den Erfolg von Baden-Württemberg aus.

Deutschland will sich hier auch das Olympia-Ticket sichern – bei der Heim-WM im Oktober. Wie schwer wird dieses Unterfangen?

Wir haben große Konkurrenten. Vergangenes Jahr sind wir mit einer superguten Leistung ins WM-Finale gekommen. Da haben wir Großbritannien geschlagen, die lassen sich nicht nochmal schlagen. Auch die Italienerinnen sind ganz stark geworden. Wir müssen in Stuttgart wirklich alles geben, um 2020 nach Tokio zu fahren. Deshalb bin ich gespannt, wer sich bei unserer internen WM-Qualifikation durchsetzt.

Wie läuft das Auswahlverfahren?

Bei der ersten Quali im Rahmen der Deutschen Meisterschaft Anfang August wird von 17 Kaderathletinnen auf 12 reduziert. Bei der zweiten Sichtung in Stuttgart reduzieren wir auf zehn und bei der dritten Überprüfung im Rahmen des Länderkampfes in Worms wählen wir die fünf WM-Teilnehmerinnen und eine Ersatzturnerin aus.

Das klingt nach einer Auslese ohne Bonus für verdiente Sportlerinnen wie Kim Bui oder Pauline Schäfer.

Ja, das ist noch ein ganz weiter Weg – und zwar für alle. Ich warte einfach ab. Denn nicht ich entscheide, wer sich qualifiziert, sondern die Athleten. Wir haben ein Computersystem, das unbestechlich ist. Da kann ich gar nichts machen. Ich sage immer: Der Athlet trägt zu 100 Prozent Verantwortung für seine Leistung.

Eine Chance auf die WM-Teilnahme erhofft sich auch die Olympia-Vierte von 2012, Janine Berger aus Ulm, die nach vielen Verletzungen als Barren- und Sprungspezialistin wieder auf Topniveau turnt. Welche Perspektive sehen Sie bei Ihr?

Nun ja, bei der WM kann ich eine Turnerin mehr mitnehmen als bei Olympia. Da kann man sich prinzipiel auch einmal eine Spezialistin leisten. Dennoch muss sie mit ihrer Übung unter die besten Drei im Team kommen. Ihre Übung am Barren ist zwar konkurrenzfähig, aber die muss dann wirklich perfekt sein. Und im Sprung könnten wir natürlich wunderbar wieder ihre eineinhalb Schrauben brauchen. Sie muss sie nur noch realisieren. Und letztlich fährt die Mannschaft zur WM, die die besten Chancen hat, dieses Olympia-Ticket zu lösen. Das hat absolute Priorität.

Kann man bei der WM in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle denn überhaupt von einem Heimvorteil sprechen? Sie werden dort ja nicht schon etwas früher an die Geräte dürfen als die anderen Teams....

Es wäre schon toll gewesen, wenn wir vorher mal dort hätten trainieren dürfen, aber das geht leider nicht. Immerhin kennen wir Stuttgart bereits vom DTB-Pokal. Zudem gibt es eine 3D-Box, in der wir uns schon anschauen können, wie dort die einzelnen Geräte aufgebaut sind. Der Heimvorteil besteht also vor allem aus der Tatsache, dass wir wissen, die Halle steht hinter uns. Aber das kann auch zur Last werden. Um gerade diesen Wettkampfstress zu minimieren und in positive Energie umzuwandeln, starten wir im Vorfeld noch ein kleines Projekt.

Wie sieht das genau aus?

In Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln absolvieren wir ein Mentaltraining, bei dem wir uns von Juni bis August dreimal für jeweils eine Woche treffen. Es ist eben eine andere Situation, bei einer Heim-WM anzutreten, weil das Publikum so viel von einem erwartet. Da muss man das Team darauf einstellen. Man muss mit großer Freude hingehen – und das wollen wir damit erreichen.

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Erstellt:
14.05.2019, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 38sec
zuletzt aktualisiert: 14.05.2019, 06:00 Uhr

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