Kommentar · Und schuld sind wieder einmal die Moralisten

Menschenrechtsfundamentalisten und andere Missverständnisse: Gernot Stegert über Boris Palmer

Erneut will Boris Palmer nur falsch verstanden worden sein. Nicht einfach so. Seine Lieblingsfeinde sind schuld: die Moralisten und Politisch Korrekten. Andere nennen sie „Gutmenschen“.

17.07.2018

Von Gernot Stegert

Boris Palmer. Bild: Metz

Boris Palmer. Bild: Metz

Am Sonntagabend hat der Tübinger Oberbürgermeister noch einen draufgesetzt und ihnen auf Facebook „Menschenrechtsfundamentalismus“ vorgeworfen. Wie bitte? Der einzige vertretbare Fundamentalismus ist doch der Universalismus der Menschenrechte. Dieses Fundament darf durch keine Meinung oder Umstände erschüttert, durch keine Kultur oder Religion relativiert werden.

Nein, nein, nicht so gemeint, verteidigt sich Palmer. Das sei nur eine böswillige Auslegung, auch vom TAGBLATT. Was wiederum das Klima in Deutschland zeige, wonach man bestimmte Dinge nicht sagen dürfe. Wie auch die heftige Kritik an einem Pro und Contra der „Zeit“ zur Seenotrettung beweise. Die Wochenzeitung hatte einen Shitstorm geerntet. Gestern schrieb Palmer von „moralisierenden Kreuzzüglern“. Oha!

Das zynische „Menschenrechtsfundamentalismus“ könnte Unwort des Jahres werden. Es drückt aus, was Regierungen in Peking und Saudi Arabien denken. Weiß der in anderen Bereichen oft so Intelligente nicht, wer den Begriff benutzt? AfD-Verteidiger, die ungarische Regierungspartei, ein reaktionärer katholischer Wallfahrtsdirektor und ähnliche. Kannte Palmer diesen Wortgebrauch nicht, ist er naiv. Wusste er davon, hat er bewusst provoziert.

Ein Beitrag Palmers auf der Internetseite kath.net zeigt sein Problem im Kern. Daher sei der Schlüsselsatz hier zitiert. Er lautet: „Die so genannten Rettungsschiffe kreuzen kurz vor der libyschen Küste und nehmen dort die Migranten auf, die von Schleppern in Boote gesetzt werden, die keine 20 Kilometer fahren können. Das ist bewusst geschaffene Seenot, keine Rettung.“ Das „Das“ bezieht sich nach den Regeln des Deutschen auf die Retter, auch der Kontext ist Kritik an den Rettungsbooten, die sogar als „sogenannte“ verunglimpft werden. Palmer aber behauptet (siehe die Leserbriefe von Samstag und heute), er habe die Schlepper gemeint. Das passt aber semantisch und grammatikalisch nicht. Denn Schlepper retten ja nicht, das wäre unlogisch. Palmer aber räumt keinen Formulierungsfehler ein, erst recht keinen inhaltlichen. Er geht zum Gegenangriff über: Seine Kritiker würden ihn falsch auslegen.

Es gibt ja Anliegen Palmers, über die diskutiert werden könnte, sollte, ja muss. Mit ihnen rechtfertigt er sich. Er wolle doch nur ... Ja, würde er doch nur. Aber stets verdirbt er die Debatte selbst. Er überschreite Grenzen, spekuliere und verallgemeinere, rügte kürzlich sein einstiger Förderer Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Man könnte über das Dilemma der Seenotretter sprechen, dass sie von Schleppern instrumentalisiert werden. Aber nicht mit polemischen Schlagworten der Rechten. Man sollte moralische Selbstgerechtigkeit, auch Redebegrenzungen durch Politische Korrektheit kritisieren. Aber nicht mit der Anti-Moralisten-Keule. Man muss Probleme mit Flüchtlingen ansprechen. Aber nicht mit missionarischem Eifer und polarisierenden Worten, die Ressentiments schüren. Der Tübinger Oberpolizist wäre zudem glaubwürdiger, wenn er auch mal einen deutschen Grapscher beklagen würde und nicht nur die Fälle, in denen Asylbewerber Täter sind.

Grundsätzlich rätselt man bei Palmers immer neuen Provokationen: Hat er kein (Sprach-)Gefühl für die Wirkung der Worte? Oder geht der emotionale Palmer-Gaul immer wieder mit ihm durch? Oder ist es Strategie nach dem Muster: Verletze ein Tabu, um Aufmerksamkeit zu erregen, und wirf nach der Empörung den anderen eine Fehldeutung vor? Oder will er sich nur als Opfer und heroischer Einzelkämpfer inszenieren?

Alles sind Unterstellungen, wird der Gescholtene abwehren. Doch warum schreibt er dann nicht eindeutig, was er gemeint haben will? Warum vergreift er sich beim Flüchtlingsthema immer wieder in Ton und Inhalt? Und jammert danach über angebliche Missdeutungen? Soll er sich doch sachlich und unmissverständlich in normalem Umgangston ausdrücken.

Und vielleicht findet sich ja jemand, der „Menschenrechtsfundamentalist“ auf T-Shirts druckt. Ich würde auch eines anziehen.

Update:

Die Debatte zwischen Gernot Stegert und Boris Palmer ging am Dienstagvormittag bei Facebook weiter: