Grüne

Und nun das Kanzleramt

Bei der Aufstellung der Landesliste für die Bundestagswahl geben sich die Südwest-Grünen selbstbewusst. Ministerpräsident Kretschmann verspricht einen „echten Neuaufbruch“ in Stuttgart.

12.04.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Grünes Baden-Württemberg: Ministerpräsident Kretschmann zeigt die politische Landkarte nach der Landtagswahl im März. Foto: Marijan Murat/dpa

Grünes Baden-Württemberg: Ministerpräsident Kretschmann zeigt die politische Landkarte nach der Landtagswahl im März. Foto: Marijan Murat/dpa

Heilbronn. Bevor er seine Rede hält, gibt Winfried Kretschmann der Kamerafrau ein paar Hinweise. Er wird gleich ein paar Karten hochhalten, sie soll darauf vorbereitet sein, damit die Botschaft auch bei den Delegierten ankommt, die den Parteitag in Heilbronn per Live-Stream verfolgen.

Auf den Karten sind die 70 Landtagswahlkreise abgebildet, jeder in der Farbe der Partei, die dort das Direktmandat gewonnen hat. 1980, beim ersten Einzug der Grünen in den Landtag, ist das Bild fast durchweg schwarz, mit drei roten Einsprengseln. Mit der Landtagswahl vor wenigen Wochen hat sich das Bild komplett gewandelt. 58 von 70 Kreisen hat Kretschmanns Partei direkt gewonnen. „Das Land ist grün, und dazwischen gibt es nur noch einige schwarze Flächen“, sagt der Ministerpräsident. Das sei das Ergebnis harter Arbeit, dafür danke er allen Grünen. „Der Erfolg bei der Landtagswahl ist Euer Erfolg – ganz herzlichen Dank!“

Kretschmann will die Partei mitnehmen nach den jüngsten Irritationen um das Aus für eine Ampelkoalition im Land und der Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit der im Wahlkampf noch als „Klotz am Bein“ geschmähten CDU. Es ist der erste Parteitag nach dem fulminanten Wahlsieg Mitte März und der folgenden Grundsatzentscheidung für eine Neuauflage von Grün-Schwarz. Hauptzweck der zweitätigen Konferenz ist es, die Landesliste für die Bundestagswahl aufzustellen. Aber die Bewertung der jüngsten Ereignisse nimmt großen Raum ein. Er habe im Wahlkampf versprochen, dass der Klimaschutz ins Zentrum der Regierungsarbeit rücken werde, sagt Kretschmann. „Ich werde im Mai 73. In diesem Alter nochmal anzutreten, will gut überlegt sein.“ Für die Entscheidung sei die Bekämpfung der Klimakrise zentral gewesen. „Dafür will ich mich nochmal voll reinhängen. Für alles andere hätte ich es nicht machen müssen.“ Und der Konsens, den man mit der CDU in Klimafragen habe, „und den wir mit der FDP eben nicht haben“, habe den Ausschlag gegeben.

Das Argument zieht, nicht zuletzt, weil FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mit seinen Attacken auf die CDU den Kronzeugen gibt. Er hat der CDU vorgeworfen, sie habe mit dem Sondierungspapier eine „Kapitulationsurkunde“ unterzeichnet. „Das ist eine marktradikale Partei, die in vielen Bereichen, vor allem im Klimaschutz, weit weg von uns ist“, sagt Verkehrsminister Winfried Hermann.

Begeisterung löst die Aussicht auf weitere fünf Jahre Grün-Schwarz nicht aus, das machen viele Wortmeldungen klar. Aber die Entscheidung wird breit akzeptiert, nur die Grüne Jugend betont weiter ihre Skepsis. Ihr Landessprecher Deniz Gedek sagt: „Wir behalten uns das Recht vor, gegen den Koalitionsvertrag zu stimmen, wenn zu viele Kompromisse eingegangen werden.“ Landesvorstandsmitglied Lena Schwelling sagt, ihre erste Reaktion sei gewesen: „Nochmal fünf Jahre CDU, das kann doch nicht wahr sein.“ Aber mit dem Sondierungspapier, gibt sie sich versöhnt, hätten die Grünen nun schon viele grüne Pflöcke reingehauen. Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz versichert der Basis: „Es wird keine Koalition der Beinfreiheit geben.“ Und die Heidelberger Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner ruft die Delegierten auf, stolz darauf zu sein, „dass die CDU jetzt unser Klimaschutzprogramm akzeptieren muss“.

Brantner, parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion und dem Realo-Flügel zugeordnet, entscheidet das Duell gegen die Ravensburger Parteilinke und Bundestagsfraktionsvize Agnieszka Brugger um Platz eins auf der Landesliste klar für sich. Es ist die einzige Kampfkandidatur auf den vorderen Plätzen. Platz zwei geht an Cem Özdemir, ebenfalls Realo.

Mit Brugger und dem Tübinger Abgeordneten Chris Kühn folgen auf den Plätzen drei und vier zwei Vertreter der Parteilinken. Bislang stellen die Südwest-Grünen 13 Abgeordnete, künftig werden es nach Modellrechnungen über 30, auf jeden Fall aber deutlich über 20 sein, sodass auch der Sigmaringer Grünen-Kreischef Johannes Kretschmann, ein Sohn des Ministerpräsidenten, auf Listenplatz 22 gute Chancen hat.

„Alles ist drin“, lautet das Motto des Parteitags. „Nach der Villa Reitzenstein“, sagt die scheidende Bundestagsabgeordnete Sylvia Kotting-Uhl, „greifen wir nach dem Kanzleramt.“

Zum Artikel

Erstellt:
12.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 12.04.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!