Vom Schlüsseldienst abgezockt: Halbe Monatsrente weg

Um 450 Euro wurde eine Rottenburgerin von einem auswärtigen Schlüsseldienst erleichtert

Der Fall liegt schon einige Wochen zurück. Da rief der Sohn der Frau einen Schlüsseldienst an, weil er sich aus der elterlichen Wohnung ausgesperrt hatte. Den Service hatte er per Smartphone im Internet gefunden, eine 0800-er-Nummer, bei der Anrufe aus dem Mobilfunknetz kostenlos sind.

13.06.2018

Von Ulrich Eisele

Was tun, wenn der Schlüssel drinnen steckt? Örtliche Handwerker helfen und hauen ihre Kunden nicht übers Ohr. Symbolbild: Dan Race - Fotolia.com

Was tun, wenn der Schlüssel drinnen steckt? Örtliche Handwerker helfen und hauen ihre Kunden nicht übers Ohr. Symbolbild: Dan Race - Fotolia.com

Die Mitarbeiterin eines Callcenters antwortete ihm, man werde einen Mitarbeiter schicken; die Anfahrt koste 20 Euro, das Öffnen der Wohnung 50 bis 100 Euro.

Als der Servicemitarbeiter eintraf, war die Wohnung schon geöffnet. Eine Nachbarin mit Zweitschlüssel hatte in der Zwischenzeit aufgesperrt. Dennoch bestand der Servicemitarbeiter auf voller Bezahlung der bestellten Dienstleistung: 20 Euro für die Anfahrt, 169 Euro fürs inzwischen überflüssig gewordene Aufsperren und noch einmal die gleiche Summe als Sonn- und Feiertagszuschlag, dazu 19 Prozent Mehrwertsteuer. Macht zusammen 426 Euro.

Der Sohn, der diese Forderung als ungerecht empfang, geriet darüber mit dem Servicemitarbeiter in einen lautstarken Streit. Das wiederum rief die Mutter auf den Plan, die inzwischen in ihre Wohnung zurückgekehrt war. Weil der Schlüsseldienstmitarbeiter mit der Polizei drohte und sie eine Eskalation des Streits mit unabsehbaren Folgen befürchtete, geriet die schon etwas ältere Dame in Panik. Sie händigte dem Service-Mann 450 Euro in bar aus, mit denen sich jener schleunigst entfernte. Zurück ließ er eine nur halb ausgefüllte Blanko-Rechnung, auf der Datum, Name und Unterschrift fehlten.

Erst hernach regten sich bei der überrumpelten Frau Zweifel. Beim Callcenter versuchte sie, die überhöhte Rechnung zu reklamieren. Doch dieses erklärte sich für unzuständig. Eine Handynummer auf der Rechnung verband sie mit dem Servicemitarbeiter, den sie an der Stimme wiedererkannte. Doch der habe sie nur ausgelacht, klagte die Frau dem SCHWÄBISCHEN TAGBLATT ihr Leid. Er habe ihr geantwortet: „Dein Geld bekommst du nicht wieder.“

Erfolglos blieb auch ein Besuch beim Rottenburger Polizeirevier: Der diensthabende Beamte habe ihr beschieden, so sagt die Frau, eine Anzeige sei in diesem Fall zwecklos. Auch ein Rechtsanwalt machte der Frau wenig Hoffnung: Sie müsse die Anwaltskosten vorfinanzieren – ungefähr die Hälfte der verlorenen Summe –, und die Chance, ihr Geld wiederzubekommen, sei sehr gering.

„Das war die Hälfte meiner Monatsrente, die mir der Mann weggenommen hat“. Bei der Schilderung des Falls kamen der Frau immer wieder Tränen. Noch mehr als der materielle Verlust kränke sie die Ungerechtigkeit, sagte sie dem SCHWÄBISCHEN TAGBLATT. Mit ihrem Gang an die Öffentlichkeit wolle sie andere vor solchen betrügerischen Schlüsseldiensten warnen.

Örtliche Handwerker beauftragen und sich nicht unter Druck setzen lassen

Immer wieder warnen Verbraucherschutzorganisationen und auch seriöse Handwerker vor betrügerischen Schlüsseldiensten. „Fast jede Woche erscheint dazu ein Artikel in irgendeiner Zeitung“, meint Friedemann Stiller von Schlüssel-Schmid in Tübingen. „Doch die Leute lernen es nie.“

Was kann man aus seiner Sicht tun, um böse Überraschungen zu vermeiden? „Regionale Handwerker beauftragen“, sagt Stiller. Wer sein Geschäft vor Ort betreibt, könne es sich nicht leisten, Kunden übers Ohr zu hauen.

Ähnliches rät die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg: „Bevorzugen Sie ortsansässige Firmen, um die Fahrtkosten gering zu halten. Vergleichen Sie die Preise der Anbieter und achten Sie auf Wochenend- und Nachtzuschläge. Lassen Sie sich vom Handwerker nicht unter Druck setzen.“

In einer bundesweiten Umfrage unter 600 Schlüsseldiensten hat die Verbraucherzentrale ermittelt, wie viel eine einfache Türöffnung kostet - sowohl an Werktagen wie auch nachts, an Sonn- und Feiertagen. Die Ergebnisse wurden pro Bundesland in einen Durchschnittspreis umgerechnet. Demnach kostet eine Türnotöffnung in Baden-Württemberg an einem Werktag durchschnittlich 80,84 Euro (ohne Anfahrt), an Sonn- und Feiertagen sowie nachts 148,93 Euro.

Wenig Chancen sieht der Rottenburger Rechtsanwalt Peter Schmarsli, Geld für eine einmal bezahlte Rechnung wiederzubekommen – auch wenn diese überhöht erscheint. Man könne den Schlüsseldienst im Prinzip nur wegen Wuchers belangen, erklärt er. Doch die deutschen Gerichte würden in der Regel erst ab der doppelten ortsüblichen Summe einen Straftatbestand anerkennen. Auch zivilrechtlich bestehe kaum eine Chance, den Schlüsseldiensten beizukommen, die in einem rechtlichen Graubereich agieren würden.

Ratsam ist hingegen, sich nicht an der Haustür von Handwerkern unter Druck setzen zu lassen. Jeder Auftraggeber hat das Recht, Rechnungen nicht sofort bar zu bezahlen. So kann man die Forderung in Ruhe prüfen und bei Bedarf einen Anwalt einschalten.

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Erstellt:
13.06.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 00sec
zuletzt aktualisiert: 13.06.2018, 01:00 Uhr

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