Tübingen · Urgeschichte

Uhu aus der Steinzeit

Schon die ersten Klebstoffe der Welt wurden in aufwändigen Verfahren hergestellt.

29.09.2022

Von ST

Man kann den Teer aber auch mit einem Destillationsapparat gewinnen. Bild: Tabea Koch

Man kann den Teer aber auch mit einem Destillationsapparat gewinnen. Bild: Tabea Koch

Der frühe Homo sapiens in Südafrika nutzte in der Mittelsteinzeit Kleber aus dort heimischen Steineiben, um etwa Steinwerkzeuge an Holzspeeren zu befestigen. Dieser Klebstoff hat hervorragende Hafteigenschaften und kann nur in einem aufwendigen Verfahren hergestellt werden. Das haben Patrick Schmidt und Tabea J. Koch vom Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen in einer gemeinsamen Studie mit Professor Edmund February von der Universität Kapstadt, Südafrika, jetzt herausgefunden. Dass schon die ersten modernen Menschen vor rund 100 000 Jahren Klebstoffe in einer komplizierten Prozedur herstellten, zeugt nach Ansicht der Wissenschaftler von ihren innovativen Fähigkeiten und ihrem großen Geschick.

Steineiben sind tropische, immergrüne Sträucher und Bäume. „An mehreren mittelsteinzeitlichen Fundorten in Südafrika sind Klebstoffe entdeckt worden, meist als Reste auf Steinwerkzeugen wie Kratzern oder Armaturen, die so an Griffe oder Speere angeklebt wurden“, berichtet Patrick Schmidt. Chemische Analysen hätten ergeben, dass solcher Klebstoff häufig aus Steineiben gewonnen wurde. „Das ist erstaunlich, weil Steineiben keine nennenswerten Mengen an Baumharz oder sonst einer klebrigen Substanz ausscheiden.“

Das Team hat untersucht, wie der Klebstoff hergestellt werden konnte, wenn nur steinzeitliche Materialien und Werkzeuge zur Verfügung stehen. „In den Blättern der Steineiben sind geringe Mengen Harz enthalten, das man herausdestillieren muss“, erklärt Schmidt. Zwei Herstellungswege hat das Team entdeckt: „Recht einfach ist es, die Blätter direkt neben flachen Steinen zu verbrennen. Dabei entsteht durch Kondensation Teer, der von den Steinen abgekratzt werden kann. Dieses Verfahren könnten die Menschen zufällig entdeckt haben.“ Aufwändiger sei die zweite Möglichkeit, bei der die Blätter in einer Art unterirdischem Destillationsapparat über mehrere Stunden erhitzt werden müssen, sodass der Teer in einen Auffangbehälter tropft. Welches Verfahren genutzt wurde, sei unbekannt.

Erstaunlich sei in jedem Fall, dass die Menschen damals keine anderen Pflanzen als Steineiben als Klebstofflieferanten nutzten. „Die Menschen hätten einfach Baumharze sammeln können. Bei mehreren Arten, die in ihrer Umgebung vorkamen, fließt es erkennbar aus dem Stamm. Manche Pflanzen geben zum Beispiel auch beim Abbrechen der Blätter klebrigen Latex ab“, erklärt Tabea Koch. Die Erklärung fand das Team mithilfe von Standardlabortests, wie sie in der Klebstoffindustrie verwendet werden: „Unser aus Steineiben destillierter Teer hatte besonders gute mechanische Eigenschaften und erwies sich als stärker als alle anderen natürlich vorkommenden Klebesubstanzen der Steinzeit in Südafrika, er konnte deutlich größere Lasten halten“, sagt Schmidt.

Dass die modernen Menschen im südlichen Afrika vor rund 100000 Jahren gezielt besonders gute Klebstoffe produzierten, sei ein Wendepunkt in der Entwicklung unserer direkten Vorfahren gewesen, glaubt Schmidt. „Die Menschen wählten Materialien nicht nach deren Eigenschaften aus, sondern veränderten das vorhandene Material.“ Solch neue Ingenieurstechnik habe höhere kognitive Fähigkeiten und innovatives Denken erfordert.

Beim Kondensieren werden die Blätter neben flachen glatten Steinen verbrannt.  Bild: Tabea Koch

Beim Kondensieren werden die Blätter neben flachen glatten Steinen verbrannt. Bild: Tabea Koch

In Südafrika als Yellowwood bekannt

Die Breitblättrige Steineibe ist ein langsamwüchsiger, immergrüner Baum und erreicht als über das Kronendach ragender Emergent Wuchshöhen von bis zu 35 Metern bei Stammdurchmessern von bis zu 3 Metern. Die Laubblätter sind streifenförmig und etwa 3 bis 4 cm, an jungen Bäumen teils auch bis 10 cm lang bei etwa 6 bis 12 mm Breite. Der frische Blattaustrieb ist hellgrün, wogegen die ältere Belaubung dunkelgrün ist. Die Steineibe ist in Südafrika (vor allem in afromontanen Wäldern) heimisch und wird dort Yellowwood genannt.

Zum Artikel

Erstellt:
29.09.2022, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 40sec
zuletzt aktualisiert: 29.09.2022, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!