Tübingen · Wirtschaft

ZF kauft „Brake Force One“-Gruppe

Der Friedrichshafener ZF-Konzern hat die Tübinger Mobilitätsfirma Brake Force One übernommen. Das bestätigte ZF am Mittwoch dem TAGBLATT.

31.07.2019

Von Moritz Hagemann

Frank Stollenmaier, scheidender Geschäftsführer der Firma „Brake Force One“ (BFO). Bild: Gernot Stegert

Frank Stollenmaier, scheidender Geschäftsführer der Firma „Brake Force One“ (BFO). Bild: Gernot Stegert

Der geplante Aufstieg war kometenhaft: Zunächst das weltweit erste Antiblockiersystem fürs E-Bike, dann der E-Scooter „Flynn“, der im Juni auf den Markt kommen und der Tübinger Firma Brake Force One (BFO) zum großen Geld verhelfen sollte. Das dachten viele, die in der Mobilitätsfirma die Trends der Zeit gut aufgehoben sahen und das nächste große Tübinger Ding ausmachten.

Dass sich Pläne ändern können, zeigt sich nun: Gründer Frank Stollenmaier hat die BFO-Gruppe überraschend nach Friedrichshafen verkauft. Der ZF-Konzern hat die Mobilitätsfirma zu einhundert Prozent als Tochter übernommen. Am Joint Venture, dem neben BFO etwa auch die Uracher Firma Magura angehört, hält ZF bereits 48 Prozent. Am Dienstag wollte ZF die Übernahme auf Nachfrage noch nicht bestätigen, am Mittwoch wurde der Deal verkündet. Nach TAGBLATT-Informationen gehört BFO seit Wochenbeginn dem ZF-Konzern.

Zu den Befürwortern von BFO zählen Oberbürgermeister Boris Palmer und große Teile des Tübinger Gemeinderates, der BFO mit sieben Gegenstimmen und zwei Enthaltungen im vergangenen Oktober eine Grundstücksoption im geplanten Gewerbegebiet Aischbach II im Tübinger Westen zusprach – zum Ärger der Handwerker, die sich dort gerne auf den rund 8700 Quadratmetern angesiedelt hätten. Jene Option wurde jüngst erst bis zum 31. März 2020 verlängert. Angedachter Preis für das Grundstück, auf dem auch einige Wohnungen geplant sind: 2,2 Millionen Euro. Die Debatten zu diesem Thema im Rat waren hitzig und langatmig, von „blindem Vertrauen“ und „fast schon Rufschädigung“ war die Rede.

Aischbach II: Nicht mit BFO planen

Doch was bedeutet der Verkauf für die Zukunft in Tübingen? Baubürgermeister Cord Soehlke sagt, dass man die Grundstücksoption „auf der neuen Grundlage bewerten“ müsse. Die Option gelte nun nicht automatisch, sie sei aber eine Grundlage für Gespräche. Heißt: „Wenn ZF über den Standort Aischbach II sprechen möchte, sind wir dazu bereit.“ Einen Vertrauensbruch sieht Soehlke nicht, „zumal wir mit ZF einen seriösen Partner haben, mit dem man so etwas gut besprechen kann“.

Der Konzern teilt auf Nachfrage über seinen Pressesprecher Andreas Veil mit: „Es gibt derzeit keine Überlegungen, den Standort Tübingen in Frage zu stellen.“ Zudem ist die Grundstücksoption laut Veil „eine exzellente Möglichkeit, das Unternehmen BFO weiter wachsen zu lassen“. Nach ZF-Angaben werden die rund 50 Angestellten komplett übernommen.

Der bisherige Geschäftsführer Frank Stollenmaier ist mit dem Verkauf seinen Posten los. Neuer Chef ist Gerhard Meindl, Jahrgang 1957. Der ZF-Manager beschäftigt sich schon lange mit Lösungen zur Mikromobilität, besonders im Zweirad-Segment. Man kennt sich aus dem Joint Venture.

Über den Verkaufspreis ist Stillschweigen vereinbart worden. Zuletzt hatten sich Gerüchte um finanzielle Probleme von BFO gehalten. Weil Stollenmaier für das TAGBLATT jedoch seit Wochen weder per Telefon noch per Mail erreichbar ist, lässt sich die Frage nicht beantworten, ob er mit dem Verkauf der Zahlungsunfähigkeit zuvorgekommen ist. Stollenmaier wird in einer ZF-Mitteilung vom Mittwoch zitiert: „Es war mir ein großes Anliegen, dass sich BFO unter der Obhut eines technologisch führenden Industriekonzerns entfalten kann und alle Mitarbeiter eine gute berufliche Perspektive erhalten.“

Stollenmaier war seit der Gründung der starke Mann hinter BFO. Der 62-jährige Stuttgarter lebt seit mehr als 20 Jahren in Tübingen. Zunächst war er in der Medienbranche tätig, produzierte in Reutlingen die Kindersendung „Käpt’n Blaubär“, doch seiner Firma ging das Geld aus. Das nahm Stollenmaier gesundheitlich mit.

Er gründete 2010 mit neuem Eifer die Firma Brake Force One, nachdem er im Nehrener Jakob Lauhoff einen Tüftler gefunden hatte. Hier der erfahrene Unternehmer, da der junge Querdenker, angereichert mit Ingenieuren von Bosch oder Porsche, die in der neuen Mobilität im grünen Tübingen ihre große Chance sahen. BFO sollte schnell wachsen. 400 Mitarbeiter in 12 bis 15 Jahren – das war der Plan im vergangenen Jahr.

Teil der ZF-Division Industrietechnik

Der Visionär Stollenmaier zeigte gerne, was er hatte. Die Firmenräume in der Tübinger Bismarckstraße schmücken Designermöbel und ein riesiger Bildschirm. Er sprach einmal von einem siebenstelligen Betrag, den er in die neuen Räume investiert habe. Die eine oder andere Luxuskarosse gehört auch zum Geschäftsinventar. Nun gab es jedoch eine Fluktuation unter den Angestellten, etwa der „Flynn“-Projektleiter hatte im Juli seinen letzten Arbeitstag.

Und wie kam Geld herein? BFO entwickelte zwar die erste H2O-Bremse. Doch der „Flynn“ sollte die Kassen füllen, er kommt aber nicht auf die Straße, während die E-Scooter anderer Anbieter bereits über den Asphalt rollen. Das Antiblockiersystem für E-Bikes kann nach letztem Stand frühestens 2020 in Großserie gehen – obwohl jener Schritt vor drei Jahren noch für das Frühjahr 2018 geplant war. Der „Flynn“, so Veil, sei jedenfalls „ein hervorragendes Produkt, das sich ZF genau ansehen und dann entscheiden wird, was der richtige Weg ist“.

Klaus Geißdörfer, der Leiter der ZF-Division Industrietechnik, nennt BFO einen „Entwicklungsdienstleister, der schnell und kompetent neue Ideen in Prototypen umsetzen kann“. Außerdem bringe BFO „exzellente Fachleute mit langjährigem Know-how“ mit.

Und dann wäre da noch eine Sache: Der hiesige Handel- und Gewerbeverein verfolgt die Angelegenheit interessiert, schließlich ist BFO ein zentraler Sponsor beim Umbrisch-Provenzalischen Markt (11. bis 15. September) – und die Werbemittel mit BFO-Logo sind längst gedruckt.

Das ist der ZF-Konzern

Die Zahnradfabrik (ZF) Friedrichshafen beschäftigt fast 150.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2018 einen Umsatz von rund 37 Milliarden Euro bei einem Gewinn von 1,225 Milliarden Euro. Das Unternehmen wurde 1915 gegründet und gilt inzwischen als zweitgrößter Automobilzulieferer weltweit. Der Spitzenreiter ist Bosch. Außerdem ist ZF auch in der Antriebs- und Fahrwerktechnik ein weltweit führendes Unternehmen, was allerdings auch Kritik einbringt. Schließlich liefert ZF dabei Komponenten für die Rüstungsindustrie, etwa für Panzer. Deshalb ist auch die Beteiligung von ZF an der Cyber-Valley-Initiative für Künstliche Intelligenz nicht unumstritten. ZF ist weltweit in rund 40 Ländern mit gut 230 Standorten vertreten. Dazu zählen laut Unternehmensangaben 19 sogenannte Hauptentwicklungsstandorte.