Ziele setzen, dran bleiben

Tübinger Psychologen entwickeln ein Bewegungsprogramm für Patienten

Sport hilft der Psyche: Tübinger Psychologen entwickeln ein Bewegungsprogramm für Patienten. Es werden noch Teilnehmer gesucht.

12.04.2018

Von Angelika Bachmann

Allein sich auf den Weg zu machen, ist für manche ein großer Schritt. Die Erfahrung, es zu schaffen, auch: Joggen und andere Ausdauersportarten können für psychisch Kranke therapeutische Wirkung haben. Eine Studie will das jetzt genauer erforschen. Bild:bobex73 - stock.adobe.com

Allein sich auf den Weg zu machen, ist für manche ein großer Schritt. Die Erfahrung, es zu schaffen, auch: Joggen und andere Ausdauersportarten können für psychisch Kranke therapeutische Wirkung haben. Eine Studie will das jetzt genauer erforschen. Bild:bobex73 - stock.adobe.com

Wie positiv sich Sport auf die Psyche auswirkt, davon berichten nicht nur Hobbysportler. Auch die Forschung hat in den vergangenen Jahren in zahlreichen Studien belegt, wie heilsam regelmäßiger, moderater Ausdauersport sein kann. Sport hilft, dass man mit Stress besser umgehen kann. Wer regelmäßig Sport treibt, schläft besser ein und hat einen erholsameren Schlaf. Schon eine Stunde Sport in der Woche kann die Wahrscheinlichkeit einer Depression um 12 Prozent verringern.

All diese (mit Studien belegten) Fakten hat der Tübinger Psychotherapeut und Sportpsychologe Sebastian Wolf zusammengetragen. Therapeutisch genutzt wird die heilsame Kraft von Sport aber – wenn sie der Patient nicht selbst für sich entdeckt – nur selten. Mit dem Bewegungsprogramm „Impuls“ will Wolf, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für klinische Psychologie und Psychotherapie ist, in diese Lücke stoßen und gleichzeitig eine Versorgungslücke überbrücken: Das Programm richtet sich an Patienten mit Depression, Burnout, Angststörungen und ADHS, die bislang wenig Sport machen und auf einer Warteliste für eine psychotherapeutische Behandlung stehen oder dort aufgenommen werden wollen.

Die Wartezeiten betragen derzeit immer noch drei bis sechs Monate. In dieser Zeit kann ein solches Bewegungsprogramm eine große Hilfe sein, wie die Erfahrungen der Absolventen des ersten Kurses bestätigen: „Der Sport hilft mir, mich besser zu konzentrieren und meinen Kopf frei zu bekommen und eine bessere Work-Life-Balance zu haben“, berichtet ein Teilnehmer.

Was wird bei „Impuls“ gemacht? Die Teilnehmer an der Studie werden einer von zwei Gruppen zugelost. Beide Gruppen erhalten nach Abschluss des Forschungsprojekts eine Einzelverhaltenstherapie. Wer der Sportgruppe zugeteilt ist, wird zudem in den ersten vier Wochen so vorbereitet, dass er in den kommenden zwei Monaten regelmäßig Sport macht und das in seinen Alltag integriert. Auch Patienten, die sich beim besten Willen nicht vorstellen konnten, ein solches Sportprogramm tatsächlich auf die Reihe zu bekommen, haben das geschafft, berichtet Wolf. Hierbei sind die psychotherapeutischen Elemente und Strategien enorm wichtig: Welche Ziele hat man sich gesetzt, welche Hürden hindern einen daran, diese Ziele zu erreichen? Wie kann man die Hürden überwinden? „Es geht darum, sich Ziele zu setzen, dran zu bleiben und dabei Spaß zu haben.“

Sebastian Wolf

Sebastian Wolf

Auch das kann zum Erfolg beitragen: In dem Programm geht es darum, eine Sportart zu finden, die dem einzelnen Spaß macht. Das kann für den einen das Joggen im Wald sein. Der andere schwimmt lieber. Es gibt auch ein speziell entwickeltes Programm für Krafttraining (mit Videomaterial). Während der ganzen drei Monate halten die Patienten Kontakt zu den Psychotherapeuten und protokollieren ihre sportlichen Aktivitäten. Kooperationspartner in der Studie sind unter anderem das Sportinstitut der Uni und der Hochschulsport.

Es gibt eine Vielzahl an physiologischen Prozessen, die beim Sport beeinflusst werden. So wird zum Beispiel der Cortisolspiegel gesenkt und damit die Stressresistenz erhöht. Faktoren zum Schutz von Nervenzellen werden unterstützt, das Immunsystem beeinflusst und die Herzratenvariabilität verbessert. Letzteres wird bei allen Teilnehmern gemessen und gibt Aufschluss darüber, inwieweit sich Menschen an Stress anpassen können. Weitere Ergebnisse werden in erster Linie über Fragebögen und Interviews erfasst, erklärt Wolf.

Der Psychologe beschäftigt sich schon seit längerem mit dem Zusammenhang zwischen Psyche und Sport. „Am besten belegt sind die positiven Effekte bei Depression“, sagt Wolf. „Studien legen nahe, dass moderates Training vergleichbar wirksam ist wie Anti-Depressiva oder Verhaltenstherapie“, sagt Wolf. Auch bei Schizophrenie und Angststörungen habe man in Studien gute Effekte nachweisen können.

In Kliniken wird deshalb für Patienten, die stationär behandelt werden, Bewegungstherapie angeboten. Auch in der Rehabilitation spielt Sport eine Rolle. „Es gibt aber überhaupt keine Programme für die ambulante Psychotherapie“, kritisiert Wolf. Was auch daran liegen mag, dass die Verbindung von Psychotherapie und Sporttherapie zwar sehr heilsam ist, sie aber nach keinem Kassenkatalog abrechenbar ist. Für diese Art der Therapie gibt es keine Behandlungsziffer.

Patienten brauchen aber Motivation, Anleitung und Hilfestellung, bis sie soweit sind, selbständig Sport zu treiben. „Jemanden, der unter akuten Panikattacken leidet, kann ich nicht einfach in den Sportverein stecken. Die sind gar nicht darauf vorbereitet, mit so etwas umzugehen“, sagt Wolf. Auch bleibt die Frage, welche Berufsgruppe ein solches Programm anbieten könnte: Es müssten psychologische oder ärztliche Psychotherapeuten sein, die aber eben auch Erfahrungen mit Sporttherapie haben – ein Berufsbild, das es bislang noch nicht gibt.Bild: Bachmann

Info Wer sich für die Impuls-Studie interessiert, erhält weitere Informationen unter Telefon 07071/ 1389578 oder per E-Mail: ImPuls@psycho.uni-tuebingen.de. Weitere Informationen auch auf der Homepage der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie.