Bürger zum Nahverkehr befragen

Tübinger Gemeinderat nimmt Fahrt aus der Gratisbus-Debatte

Vom ticketfreien über den günstigeren Bus zur Umfrage in zwei Jahren: Der Tübinger Gemeinderat tut sich schwer, die gemeinsamen Ziele zu erreichen.

09.05.2017

Von Gernot Stegert

Einmal mehr war Boris Palmer am Montagabend im Tübinger Gemeinderat unzufrieden. Im Verwaltungsausschuss hatten die Fraktionen Ende April seine Finanzierungsmodelle mit Steuererhöhungen für einen Bus zum Nulltarif zerrupft. Dann änderte der grüne Oberbürgermeister seinen Antrag (wir berichteten). Und auch der traf jetzt auf Widerstand.

Zu Beginn referierte Palmer noch einmal die Ziele seines Vorstoßes. Es sei ökologisch und sozial, durch niedrige Fahrpreise Menschen zum Umsteigen vom Auto auf den Bus zu bewegen. Das war aber gar nicht strittig. Kritisiert hatten die Stadträte das Instrument Gratisbus und sein Finanzierungsmodell. Von Steuererhöhungen hat Palmer nun gelassen: „Wenn man mal eine Dreiviertelmehrheit gegen sich hat, dann braucht man nicht weiter daran festhalten.“ Doch auch sein Ersatzvorschlag, eigentlich sein Plan A, wird nichts: Einer Nahverkehrsabgabe hat die Landes-CDU jüngst eine klare Absage erteilt.

Palmer gibt die Hoffnung dennoch nicht auf. Ein Modellprojekt für eine Kommune könnte das Land doch noch erlauben, meinte er. Nur müsse Tübingen dafür einen Antrag stellen. Der Gemeinderat stimmte am Ende mit großer Mehrheit (gegen CDU und FDP) für Palmers offen formulierten Antrag, die Landesregierung solle den Kommunen „eine eigenständige Finanzierungsquelle“ für den Nahverkehr ermöglichen.

In einer sehr langen und oft wild zwischen den Themen springenden Debatte mit vielen unterschiedlichen Meinungen ging es weniger inhaltlich um eine Ausweitung des Busangebots und die mehr oder weniger starke Senkung von Fahrpreisen. Im Vordergrund standen die möglichen Fragen und das Datum einer von allen gewollten Bürgerbefragung:

Zeitpunkt: Eine große Mehrheit wollte die Befragung an eine Wahl koppeln. So sei das Ergebnis aussagekräftiger als bei der geplanten Umfrage-App, waren sich Palmer, AL/Grüne, CDU, SPD und FDP einig. Die Bundestagswahl am 24. September hielten nur der OB und die SPD für möglich. Das sei zu früh für die komplexen Fragen, sagte die Mehrheit und folgte dem Antrag von AL/Grünen, die Tübinger parallel zur Kommunalwahl 2019 zu befragen. „Bis dahin haben wir genügend Zeit und ausreichend Modelle vorliegen“, sagte der Fraktionsvorsitzende Christoph Joachim.

Inhalt: Die Fragen sind noch offen. Palmer will bloß eine Richtungsentscheidung und daher nur grundsätzlich fragen, ob die Tübinger bereit sind, für ein besseres Busangebot und niedrigere Fahrpreise 5, 10 oder 15 Euro im Monat als Abgabe in Kauf zu nehmen. Dafür musste der OB viel Kritik einstecken. Der Punkt sei so nicht entscheidungsreif, sagte Joachim. „Die Bürger müssen wissen, was sie zahlen sollen und was sie dafür bekommen“, sagte Rudi Hurlebaus (CDU). „Solange wir das konkrete Modell nicht haben, bleiben wir bei Spekulationen“, kritisierte Ernst Gumrich (Tübinger Liste). Was bekomme ein Bürger für 5 Euro, was für 10, was für 15 Euro? Außerdem rechnet Gumrich eher mit 20 bis 25 Euro. Dietmar Schöning (FDP) mahnte, die Fragestellung dürfe nicht verkürzt werden: „Wir haben drei Modelle in unterschiedlichen Spielarten.“

Die Linke hält am Umsonstbus fest. Gerlinde Strasdeit sagte: „Wir sind für einen ticketfreien Nahverkehr, wir sind für eine solidarische Finanzierung.“ Auch der fraktionslose Jürgen Steinhilber sprach sich für einen „umlagefinanzierten Gratisbus“ aus.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Sökler sagte, der Nulltarif koste 14,5 Millionen Euro jährlich. Diese Summe habe ein „Akzeptanzproblem“, wie die Leserbriefe im TAGBLATT zeigten. Aber: „Es gibt eine Bereitschaft, das Angebot zu verbessern und die Preise zu senken.“ Die SPD hat ein eigenes Modell entwickelt (siehe unten).

Mehrere Fraktionen plädierten dafür, dass Schüler nicht länger mehr zahlen müssen als Jobticketinhaber. Das sei ungerecht. „Wir brauchen zuerst eine Tarifentlastung bei den Schülern und Schülerinnen“, sagte Joachim. Die SPD und Linke wollen den Nulltarif für diese Gruppe.

Wie die SPD den Busverkehr fördern will

Martin Sökler stellte das SPD-Modell vor: Halber Fahrpreis für alle und Kostenfreiheit für Kreisbonuscard-Inhaber sowie nach 19 Uhr und am Wochenende. Bezahlen will die SPD die Kosten von 5,9 Millionen Euro jährlich durch Entnahme aus dem Haushalt (2,1 Millionen Euro) und Erhöhungen der Grundsteuer (1,8 Millionen Euro) und der Gewerbesteuer (2 Millionen Euro) um jeweils 10 Prozent. Die Grundsteuererhöhung würde im Schnitt für jeden Immobilien-Besitzer 44 Euro mehr im Jahr bedeuten. Das sei vertretbar. Auch für eine Nahverkehrsabgabe sei die SPD offen. „Preissenkungen funktionieren, das zeigen 3200 Jobtickets“, sagte Sökler. „An dem SPD-Vorschlag gefällt uns einiges, aber nicht pauschal alles“ , erklärte Gumrich für die Tübinger Liste, der auch eine Nahverkehrsabgabe befürwortete.

Zum Dossier: Ticketfreier ÖPNV

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Erstellt:
09.05.2017, 22:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 09.05.2017, 22:00 Uhr

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