Über die endgültige Annexion des Schwarzwalds

Tübingen soll ein berühmter Torten-Ort werden

Die Hamburger kommen nicht aus Hamburg. Die Frankfurter sind von den Wienern kaum zu unterscheiden, und die Thüringer Rostbratwurst ist nur zwei Buchstaben von Tübingen entfernt. Warum also sollte nicht auch die Schwarzwälder Kirschtorte aus Tübingen stammen?

11.10.2017

Von Ulla Steuernagel

Die Torte sieht gut aus, schmeckte aber nicht besonders. Bild: Steuernagel

Die Torte sieht gut aus, schmeckte aber nicht besonders. Bild: Steuernagel

Jedenfalls passt sie besser hierher als nach Bad Godesberg, wo sie, laut wissenschaftlicher Expertise von Wikipedia-Historikern, erfunden worden sein soll. Ausgerechnet in dieser ausgemusterten Gegend, der man zu Recht die Bundeshauptstadt entzogen hat! Ihre frühe Konstruktion war zudem lächerlich einlagig, ein Sparmodell, das bei uns in Tübingen bestenfalls in der Kehrwoche als Besenfutter gedient hätte.

Insofern muss es geradezu eine Befreiung für die Schwarzwälder Kirschtorte gewesen sein, dass man ihr ein anderes Rezept und eine andere Heimat gab: nämlich Tübingen. Udo Rauch sei Dank, denn er fand heraus, dass der Konditor Erwin Hildenbrand im „Café Walz“ in der Kronenstraße 1930 die echte Schwarzwälder Torte erfand.

Klar, dass es da viele Neider gab und gibt und dass vor allem der Schwarzwald den Tübingern diesen Erfolg nicht gönnt. Dabei haben die phantasiebegabten Tübinger die Torte wohl nur wegen der Bollenhut-Ähnlichkeit nach dieser gottverdammten Gegend benannt. Im dunklen Tann aber wuchsen mit Macht die Herrschaftsansprüche, und so ist es wirklich an der Zeit, dass Tübingen sich dagegen behauptet.

Die Stadt packt es jetzt an und wird darüber am Donnerstag im Kulturausschuss diskutieren. Angestoßen hat die Debatte Stadtrat Markus Vogt („Die Partei“). Er hatte bescheiden ein Schwarzwälder Kirschtortenmuseum beantragt. Die Gemeinderatsvorlage aber geht jetzt in die Vollen. Der alljährliche Chocolart-Markt ist die Eintrittskarte für die ganz große Vision: Tübingen soll Teil sein einer gesamteuropäischen Idee: einer Schokoladenstraße („Chocolate Way“). Der Chocolart-Veranstalter, „Tübingen erleben“, ist konzeptionell ganz groß eingestiegen und schlägt eine bleibende „Tübinger Schaumanufaktur“ vor für all die lokalen Schoko-Themen, die so auf der Straße liegen. Die Torte lässt sich da bestens einspeisen.

Bei der nächsten Chocolart, so heißt es in der Vorlage der Stadt, könnte es einen ersten Kirschtorten-Backwettbewerb geben (für den ich mich hiermit offiziell mit der unten abgebildeten, bemerkenswert schlecht schmeckenden Kreation bewerbe). Mit Medienpartnerschaften (hier, bitteschön!), Verkostung (hier, dankeschön!) und eingepflegten Kirschtorten-Orten im multimedialen „Tüsch“ im Rathausfoyer reiht sich Premium-Idee an Premium-Idee. Und besonders kühn: Vor dem ehemaligen Café Walz soll zur Abwechslung auch mal an diese braune Seite der Stadt erinnert werden.

Wer Bedenken hat, kann sich der zweiten Lösungsvariante der Vorlage anschließen, die lautet: „keine weiteren Maßnahmen zur Vermarktung des Standorts“. Wer kann das ernsthaft wollen? Die Vermarktungsideen sollten lieber noch ergänzt werden. So könnte der Schwarzwald durch eine Umbenennung des Schönbuchs listig annektiert werden. Empirische Kulturwissenschaftler hätten geradezu die Pflicht, eine kritische Ausstellung zur Geschichte des Tortenwurfs abzuliefern. Und wie wär’s mit einem Werbespruch-Wettbewerb? Vorschläge bitte ans TAGBLATT.

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Erstellt:
11.10.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 19sec
zuletzt aktualisiert: 11.10.2017, 01:00 Uhr

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