Baulücken

Tübingen setzt auf Zwang

OB Palmer will noch diesen Monat Briefe an die Eigentümer von Grundstücken verschicken und ein Baugebot aussprechen.

04.04.2019

Von FABIAN ZIEHE

Boris Palmer (Grüne) spricht Baugebote aus. Foto: Silas Stein/dpa Foto: Silas Stein/dpa

Boris Palmer (Grüne) spricht Baugebote aus. Foto: Silas Stein/dpa Foto: Silas Stein/dpa

Tübingen. Nun also ohne Rückendeckung: Tübingens OB Boris Palmer will in diesen Tagen erste Briefe an Eigentümer innerörtlicher Baulücken verschicken. Dem Entwurf eines solchen Schreibens zufolge werden die Empfänger aufgefordert, ihr Grundstück innerhalb der nächsten vier Jahre zu bebauen oder an die Stadt zu verkaufen.

„Ich glaube, dass schon die Androhung eines Zwangsgsgeldes zum Umdenken bewegt“, sagt der Grünen-Politiker. Er will mit dem „Baugebot“ nach Paragraph 176?Baugesetzbuch (BauGB) erzwingen, dass unbebaute Grundstücke innerhalb von Quartieren mit qualifiziertem Bebauungsplan bebaut werden. Als letztes Mittel kann die Stadt ein Enteignungsverfahren einleiten. Hintergrund für den Schritt ist die Wohnungsnot in der Unistadt.

Palmer lässt damit eine Bombe platzen. Mitte?März hatte er noch die Gemeinderäte informiert – und fraktionsübergreifende Unterstützung geerntet. Allein den Brief an die Eigentümer wollte man gefälliger formulieren. Im Nachhinein aber widersprachen CDU und Liberale. Die Verwaltung will nun ohne Rückendeckung des Kommunalparlaments handeln.

Vor zehn Jahren hatte Palmer Eigentümer von Baulücken in der 90?000-Einwohner-Stadt angeschrieben mit der bloßen Bitte, den Bauplatz zu bebauen oder zu verkaufen. Ein Fünftel ist nun bebaut. Laut Gemeinderatsvorlage gibt es weiter 550 Baulücken, die Platz für rund 2000 Menschen böten. „Ich weiß, dass freiwillig nicht mehr geht“, sagt Palmer.

Für Ottmar Wernicke, Geschäftsführer von Haus und Grund Württemberg, wird Palmers Brief ein „Schuss in den Ofen“ sein. Baugebote würden die Stadt Personalkapazität kosten – sie müsse ja jeden Betroffenen beraten. Hinzu kämen zähe juristische Verfahren – zumal die Zumutbarkeit eines Baugebots nicht so leicht festzustellen ist. „Das wird nicht Jahre, sondern Jahrzehnte dauern.“ Wernicke regt an, die Flächen zu vermieten. Man könne mobile Häuser errichten, die nur auf Pfeilern fußen. So wäre die Fläche genutzt, die Eigentümer würden sich aber alle Optionen offenhalten. Wernicke rät folglich, statt der „Zwangskeule“ auf „Kümmern und Fördern“ zu setzen.

Auch der Gemeindetag kann sich mit einem Baugebot nicht anfreunden. Auch „andere Zwangs- und Kontrollmechanismen“ wie die Mietpreisbremse hätten nichts gebracht, sagt Sprecherin Kristina Fabijancic-Müller. Der Gemeindetag regt viel mehr eine Vereinfachung des Baurechts, Änderungen beim Mietrecht oder Abschreibungsmöglichkeiten für Bauwillige an.

Gerhard Mauch sieht im Baugebot „keinen Köngsweg“. Der Baudezernent des Städtetags hat aber Verständnis, dass Wohnungsnot-geplagte Städte solche Instrumente erwägen. Er appelliert, weiter primär auf das Gespräch zu setzen – wie das Angebot von Ersatzgrundstücken. Solche bietet Palmer in seinem Brief-Entwurf tatsächlich an.

„Die Schaffung von Wohnraum ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die mitunter auch zu unbequemen Entscheidungen führen kann“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU). Über Baugebote könne nur „vor Ort und abhängig von den jeweiligen Gegebenheiten individuell entschieden werden“. Sie halte am Grundsatz „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ fest .

Allerdings eröffne auch die aktuelle Grundsteuerreform eine Möglichkeit, Baulückenbesitzer zum Umdenken zu bewegen: „Gegenüber einer flächendeckenden Baulandsteuer plädiere ich für die Einführung einer Grundsteuer C für unbebaute Grundstücke.“