Die Strecke beim Straßenradrennen ist für viele Fahrer am Rande des Machbaren

Tour der Leiden an der Copacabana

Erst die Tour, jetzt Olympia: Im Straßenrennen gibt's heute die ersten Olympia-Medaillen. Am Traumstrand von Rio, aber nach einer Albtraum-Strecke.

06.08.2016

Von WOLFGANG SCHEERER

Die Traumkulisse trügt. Das Straßenrennen heute ist beinhart und geht nicht nur am Strand entlang. Im Bild das australische Team. Foto: Actionpress

Die Traumkulisse trügt. Das Straßenrennen heute ist beinhart und geht nicht nur am Strand entlang. Im Bild das australische Team. Foto: Actionpress

Rio de Janeiro. Die Fifth Avenue in New York, die Champs Elysées von Paris und die Avenida Atlantica an der Copacabana: Als Traumstraßen sind sie weltbekannt. Auf der vier Kilometer langen Avenida werden heute die ersten Medaillen vergeben. Bei Olmypia traditionell im Straßenradrennen. Flach, wie sie ist, böte die Strandpromenade beste Voraussetzungen für ein spektakuläres Finale mit einem Massensprint. Ganz so wie auf dem Champs Elysées am Schlusstag der Tour de France. In Rio aber wird es dazu kaum kommen. Denn die insgesamt 237,5 Kilometer haben es in sich, sind mit krassen Aufstiegen an beiden Enden der Bucht so extrem selektiv, dass nur wenige etablierte Fahrer für den Sieg in Frage kommen. Insgesamt 4600 Höhenmeter und Steigungen bis zu 20 Prozent lassen selbst viele Profis erschaudern. Kleinere Rad-Nationen sind von vorneherein im Nachteil. Dem olympischen Gedanken liegt das so fern wie der Col de Tourmalet oder Mont Ventoux.

Ähnlich bedenklich: Es ist gut möglich, dass vier Jahre nach dem umstrittenen Kasachen Alexander Winokurow hier wieder ein ehemaliger Doper gewinnt: Alejandro Valverde aus Spanien zählt zum ziemlich kleinen Favoritenkreis um Nairo Quintana aus Kolumbien oder Vincenzo Nibali aus Italien. Was auch daran liegt, dass einige Fahrer nach der Tour de France schon abgewunken haben. Den deutschen Sprintern André Greipel und Marcel Kittel ist's zu schwierig. Der slowakische Super-Allrounder Peter Sagan konzentriert sich aufs Mountainbikerennen, Top-Sprinter Mark Cavandish auf die Bahnradwettbewerbe.

Tour-Triumphator Chris Froome ist bereit für den „brutalen Ritt“. Er tritt heute (14.30 Uhr/ARD) an. „Tour de France und Doppel-Gold? Das wäre phänomenal. Vor allem das Zeitfahren in Rio liegt mir“, hatte „Froomy“ schon nach dem beeindruckenden Sieg in Frankreich gesagt. Doch der 31-Jährige weiß genau, dass er Gold nicht so akribisch planen kann wie den Tour-Erfolg mit dem Team Sky, deshalb die speziellen Ambitionen fürs Zeitfahren. Er hat kein Team von Helfern um sich, nur die Landsleute Geraint Thomas, Adam Yates, Steve Cummings und Ian Stannard. „Wir wollen für Großbritannien eine Medaille holen. Wenn wir unsere Egos beiseite stellen, kann das jeder von uns schaffen“, betont Froome.

Der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) schickt Tony Martin (Kreuzlingen/Schweiz), den aus Freiburg stammenden Simon Geschke (Kelmis/Belgien), den jungen Emanuel Buchmann (Ravensburg) und Maximilian Levy ins Rennen. Der gebürtige Berliner Levy ist dreimaliger Olympia-Medaillengewinner auf der Bahn. Ein paar Kilometer muss er heute zurücklegen, so will es das Reglement. Dass der BDR und der Deutsche Olympische Sportbund nur eine Lücke im Regelwerk nutzen und lieber einen weiteren Bahn-Spezialisten als „Straßenfahrer“ nominieren, zeigt die Chancenbewertung für heute. „Die Strecke ist extrem schwer“, sagt auch Buchmann, ein guter Kletterer. „Es ist klar, dass mein Fokus auf dem Bahn-Wettbewerb liegt. Mal sehen, wie lange es für mich an der Copacabana geht“, sagt Levy offen. Für ihn wird es nur eine kurze Panoramafahrt, für viele andere eine Tour der Leiden.