Spiel-Klassiker

Torjäger mit flinken Fingern

Rot oder gelb und dann auf dem Teppich knien – so haben viele Erwachsene „Tipp-Kick“ im Kopf. Dass es eine Bundesliga und Meisterschaften gibt, weiß kaum jemand.

03.08.2021

Von LSW

Max Daub vom Ditzinger Tipp-Kick-Club „TKC 71 Hirschlanden“ ist bereit, einen Angriff seines Gegners abzuwehren. Foto: Franziska Kraufmann/dpa

Max Daub vom Ditzinger Tipp-Kick-Club „TKC 71 Hirschlanden“ ist bereit, einen Angriff seines Gegners abzuwehren. Foto: Franziska Kraufmann/dpa

Ditzingen. Ewig lange Aufwärmrunden in der Halle muss hier keiner absolvieren. Ohne großes Gefackel geht es in der Turnhalle in Ditzingen (Landkreis Ludwigsburg) an den Tisch. Schließlich geht es um die Meisterschaft. Acht Männer sind entschlossen, das Ding zu gewinnen. Wichtig sind dabei flinke Finger und Konzentration. Im „TKC 71 Hirschlanden“ treffen sich die Männer regelmäßig zum Tipp-Kick. Auf dem Teppich herumrutschen wie im Kinderzimmer? Beim Vereinstraining sieht das anders aus: Die Spieler stehen mit gebeugten Rücken über vier Tischen und warten auf den Start der ersten Partie. Schnell noch den Timer auf fünf Minuten eingestellt – so lange dauert eine Halbzeit – und der zwölfeckige Ball kann rollen.

Zunächst hört man nur das Tipp-Geräusch, wenn ein Spieler den Kopf einer Figur drückt, und das leise Klackern, wenn der Ball gegen die Bande springt. Ein lautes „Perfekt“ entfährt Benjamin Buza, nachdem er mit seiner roten Figur den Ball in das Tor des Gegners geschossen hat. Der 47-Jährige hat sichtlich Spaß an der Trainingsmeisterschaft, bei der jeder einmal gegen jeden spielt. Flink macht er bei Eckbällen einen Schritt um den Tisch herum. Die Uhr lässt er nicht aus den Augen.

Buzas Leidenschaft für das Fußballspiel im Miniformat lässt sich auch auf seiner Haut ablesen. Auf seinem linken Oberarm hat er sich eine Tipp-Kick-Figur tätowieren lassen. Das Bild erinnert ihn an seinen harten Weg zum Meistertitel. „1994 und 2011 stand ich schon im Finale, 2013 habe ich endlich gewonnen“, erzählt der Fan des Fußball-Zweitligisten Schalke 04. Beim Tipp-Kick gebe es keine klare Gewinnstrategie. „Bei Turnieren zählt vor allem die Konzentration. Die muss man in jedem Spiel halten.“

Auf die besten Figuren komme es dagegen nicht an. Buza spielt mit nur zwei Feldspielern und einem Torwart, dem „Toni“. Erlaubt sind bis zu fünf Figuren plus Torwart pro Spieler. Dabei wird nur eine Figur genutzt, die anderen liegen am Rand. Je nach Schussart – etwa kurz und flach – eignen sich verschiedene metallische Spieler. Das lässt sich mit den verschiedenen Schlägern beim Golf vergleichen. Die Feldspieler unterscheiden sich unter anderem in der Fußlänge und dem Winkel des Beins. Wenn der Gegner aufs eigene Tor zielt, kann der Feldspieler als Verteidigung hingelegt oder hingestellt werden.

100 bis 150 Euro kann eine Figur laut den Trainierenden schon mal kosten. Die meisten bewahren sie in Holzboxen auf. Mit einer Feile können die Beine nach den eigenen Wünschen geschärft werden.

Für den Chef des Deutschen Tipp-Kick-Verbands Peter Funke ist sein Hobby ganz klar ein Sport. „Wenn man an einem Wochenende bei einem großen Turnier 20 bis 25 Spiele macht und sich an der Platte bewegt, ist das schon anstrengend. Besonders für den Rücken“, sagt der 60-Jährige. Außerdem sei der Faktor Glück beim Tipp-Kick extrem klein. Gute Spieler könnten beispielsweise den Ball so anspielen, dass er auf die für sie günstige Seite falle.

Fast 100 Jahre nach der Erfindung des Spiels bereitet dem Verband neben der Pandemie vor allem das Thema Nachwuchs Sorge. Funke schätzt, dass etwa die Hälfte der Spieler über 40 Jahre alt ist. „Bei jungen Leuten ist die Bereitschaft sich zu treffen und weit zu fahren, nicht mehr so vorhanden wie früher. Sie spielen lieber an der Konsole.“

Beim 50 Jahre alten Verein TKC Hirschlanden gibt es im Jugendbereich aktuell fünf Jungs. Max Daub, der 2003 mit Tipp-Kick begonnen hat, ist einer ihrer Trainer. „Beim Tipp-Kick ist man Spieler, Trainer und Torwart in einem“, sagt der 28-Jährige. Ihn reize besonders, dass es neben dem Können auch auf die mentale Stärke ankomme. Ansonsten gilt: üben, üben, üben.

Daub spielt für den TKC in der ersten Mannschaft. „Das ist schon professioneller als die Kindervariante. Ich rutsche anders als viele glauben, nicht auf dem Boden herum“, sagt Daub. Er nutzt sein eher ungewöhnliches Hobby als Gesprächsaufhänger und lädt Schmunzler zum Zugucken ein. Die nächste Gelegenheit könnte es im Herbst geben. Im Oktober soll die Deutsche Meisterschaft in Ditzingen ausgetragen werden, wenn die Pandemie es zulässt.

dpa