Corona

Tödliche Gefahr in Heimen

Immer mehr Menschen sterben an oder mit dem Virus. Besonders die über 70-Jährigen müssen schwere Verläufe fürchten. Die Kliniken füllen sich.

26.11.2020

Von HAJO ZENKER

Foto: Montage bock / © Zahrotul Fuadah/Shutterstock.com

Foto: Montage bock / © Zahrotul Fuadah/Shutterstock.com

Berlin. Trauriger Rekord in der Pandemie: Noch nie war die Zahl der an oder mit Covid-19 Verstorbenen an einem einzigen Tag so hoch wie aktuell. Das Robert-Koch-Institut meldete am Mittwoch 410 Menschen, die innerhalb von 24 Stunden an oder unter Beteiligung einer Corona-Infektion gestorben sind. Der bislang höchste Stand war Mitte April mit 315 gemeldeten Todesfällen erreicht worden. Die Gesamtzahl der Todesfälle stieg damit jetzt auf 14?771.

Eine Überraschung ist die Entwicklung jedoch nicht. Ein Grund für die zunehmende Sterberate ist, dass laut RKI der Anteil älterer Personen unter den Covid-19-Fällen zunimmt – bei Älteren aber sind schwere Verläufe viel häufiger als bei Jungen. So nehme „der Anteil an Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen kontinuierlich und deutlich zu“. Aus Hessen etwa gibt es aktuelle Zahlen des Landes, nach denen im November bisher zwei von drei Corona-Toten auf Altenheime zurückzuführen sind.

Laut RKI entfallen von allen Todesfällen 86 Prozent auf Personen im Alter von 70 Jahren und älter. Im Unterschied dazu betrage der Anteil der über 70-Jährigen an der Gesamtzahl der Covid-19-Fälle aber nur 12 Prozent. Aktuell liegt bei den über 80-Jährigen die Inzidenz, also die Häufigkeit der Infektionen in den vergangenen sieben Tagen je 100?000 Einwohner, bei 240 – höher als in jeder anderen Altersgruppe. Und deutlich über der gesamtdeutschen Sieben-Tage-Inzidenz, die seit zwei Wochen bei 140 liegt.

Warum es gerade die Seniorenheime wieder so schwer trifft, ist noch nicht wirklich klar. Pflegekräfte, die sich unbemerkt in der Familie oder in der Freizeit angesteckt und das Virus dann eingeschleppt haben, dürften sicher dazugehören. Auch Besucher, die Oma und Opa unbedingt umarmen wollten, wird es gegeben haben. Dazu kommen spezielle Probleme. So verweist Barbara Eschen, die Direktorin des Diakonischen Werks Berlin-Brandenburg, darauf, dass man zu jemandem, der an Alzheimer erkrankt ist, nicht einfach sagen könne: Setz' dich in dein Zimmer, du wirst isoliert. Demenzkranke verstünden nicht, „was ihnen guttut oder schadet und auch nicht, wozu die Maßnahmen der Einrichtungen dienen. Kontakte zu vertrauten Personen vermitteln sich vor allem durch Berührungen“. Für Pflegekräfte sei das eine schier unlösbare Aufgabe, könnten sie doch den fehlenden Kontakt zu Angehörigen, zu Vertrauten, nicht ersetzen. „Deshalb ist es richtig, anders als in dem ersten Lockdown, die Altenpflegeheime möglichst für Angehörige offen zu halten.“ Und trotzdem sollten sich Familien gut überlegen, wann es sinnvoll sei, zu Oma und Opa ins Heim zu fahren. Ein Balanceakt – gerade vor Weihnachten.

Auf jeden Fall soll in den Heimen nun der massenweise Einsatz von Schnelltests bei Pflegebedürftigen, Personal und Besuchern helfen, solches Einschleppen möglichst zu verhindern. Das Problem dabei: Der Test braucht Fachpersonal. Das ist ja aber ohnehin schon knapp.

Die Altersverschiebung schlägt sich entsprechend auch in den Krankenhäusern nieder, dort nimmt die Belastung weiter zu. Die Belegung der Intensivbetten steigt spürbar. Laut dem Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) liegen derzeit 3781 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, davon müssen 2214 künstlich beatmet werden – ein neuer Höchststand. Vor einer Woche hatte der Wert noch bei 3561 (2024 beatmet) gelegen, vor einem Monat bei lediglich 1296 (578). Im Schnitt überlebt jeder vierte Corona-Patient die Behandlung in der Intensivstation nicht.

Knapp 5800 Intensivbetten sind derzeit nicht belegt. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) begrüßt denn auch die Verlängerung des Lockdowns. „Da die hohen Patientenzahlen auf den Intensivstationen Folge hoher Infektionszahlen sind, war es klar, dass die Beschränkungen weiter aufrechterhalten werden müssen“, so Präsident Gerald Gaß. Die Kapazitäten der Krankenhäuser dürften nicht ausgereizt werden. „Denn noch im Laufe des Dezembers werden wir voraussichtlich 5000 bis 6000 Intensivpatienten haben.“

Gaß warnt zudem, dass die Zahl der freien Betten kein Maßstab für die Auslastung der Krankenhäuser sei. Denn Covid-19-Patienten erforderten einen deutlich höheren Personalaufwand. „In bestimmten Regionen und an einzelnen Standorten sind die Kapazitäten bereits ausgeschöpft“. Auch RKI-Chef Lothar Wieler erwartet, dass immer mehr Kliniken an ihre Kapazitätsgrenzen kommen könnten. Rund die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland melde inzwischen Engpässe. Häufigster Grund sei das Personal, das zum Teil ebenfalls erkranke oder in Quarantäne müsse. Auch er glaubt, dass die Zahl der Intensivpatienten und der Toten weiter steigen dürfte.

Angesichts dieser Lage hat der Chef der Unions-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus, Kritik an den beschlossenen Verschärfungen zurückgewiesen. Die bisherigen Maßnahmen hätten nicht gereicht, um die Zahlen „nach unten zu drücken und, was besonders traurig ist, um zu verhindern, dass Menschen sterben“, sagte er bei „ntv“. Die Realität der Pandemie finde sich in den Kliniken, sagte der CDU-Politiker. Und die Realität „ist leider auch auf den Friedhöfen“.

Tödliche Gefahr in Heimen

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Erstellt:
26.11.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 24sec
zuletzt aktualisiert: 26.11.2020, 06:00 Uhr

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