Ski Alpin

Thomas Dreßen · Der 100-Kilo-Blitz von Kitz

Geschichtsträchtiger Erfolg in Kitzbühel: Dem in Jülich geborenen Thomas Dreßen gelingt auf der Streif eine sensationelle Abfahrt. Der DSV feiert den ersten Sieg seit knapp vier Jahrzehnten.

22.01.2018

Von THOMAS GRUBER

Kompakt, mutig und unheimlich schnell: Thomas Dreßen auf der Kitzbühler Streif bei seiner waghalsigen Schussfahrt ins Glück. Foto: afp

Kompakt, mutig und unheimlich schnell: Thomas Dreßen auf der Kitzbühler Streif bei seiner waghalsigen Schussfahrt ins Glück. Foto: afp

Kitzbühel. Wenige Stunden vor dem Start zur weltweit schwierigsten Abfahrt, der berüchtigten Streif in Kitzbühel, da wagte der ehemalige US-Ski-Star Bode Miller, mittlerweile für den TV-Sender Eurosport am Mikrofon, eine interessante Prognose: Der Deutsche Ski-Verband habe ein herausragendes Talent, das für richtig große Überraschungen gut sein könnte. Der Amerikaner lobte Thomas Dreßen in den höchsten Tönen: Dessen Kompaktheit überm Ski, seine Technik, den Mut.

Mit dieser Experten-Meinung stand Miller etwas alleine da, denn selbst die Wettanbieter auf den Streif-Sieg hatten einen Thomas Dreßen nicht auf dem Zettel.

In Kitzbühel gilt seit jeher das ungeschriebene Gesetz, dass es auf der Streif keinen Zufallssieger gibt. Gleichgültig, bei welchen Bedingungen auch immer: Die Herausforderungen über Mausefalle, Seidlalmsprung, Lärchenschuss und Hausbergkante hinweg lässt den allerbesten Abfahrer des Tages als verdienten Ersten in den Zielraum donnern. Am Samstag war es Thomas Dreßen. Knapp vier Jahrzehnte hat es gedauert, bis mal wieder ein deutscher Speedfahrer nach Josef Ferstl die Streif gewinnen konnte.

Plötzlich die große Nummer

Der 24-Jährige, der für den SC Mittenwald startet, schrie seine Freude in die Tiroler Bergwelt hinaus und wirbelte mit den Armen, als wolle er den nahen Wilden Kaiser umarmen. Dreßen, kein Zufalls- aber Sensationssieger, wurde mit seiner Schussfahrt die 3,3 Kilometer lange Strecke hinunter auf einen Schlag zu einer großen Nummer im Ski-Zirkus.

Die Emotionen überwältigten den gebürtigen Jülicher, der zuvor oft schon sein Potenzial angedeutet, aber mehrfach nach den Rennen gehadert hatte: „Es war mehr drin!“ Dieses Mal zeigte er sein ganzes Können und steckte neben der bekannten „Goldenen Gams“ als Siegertrophäe einen Scheck in Höhe von 74?000 Euro ein. Nach einem Feier-Marathon durch die Nacht, bei dem er auch noch einen Plausch mit Formel-1-Pilot Sebastian Vettel hatte, dämmerte Dreßen, dass er einem sporthistorischen Moment seinen eigenen Stempel aufgedrückt hatte. Mit Startnummer 19 bezwang er die großen Favoriten wie Beat Feuz (Schweiz) und den Österreicher Hannes Reichelt. Die große Hoffnung des Austria-Teams konnte von den über 20?000 Zuschauern noch so angefeuert werden, der 24-Jährige war nicht zu bezwingen. Auf seinem Helm prangt die Zahl 44. Das Geheimnis dahinter: Die Nummer steht für zweimal „D“ – den vierten Buchstaben des Alphabets. Dirk Dreßen, so der Name seines Vaters, war bei einem Seilbahnunglück im Ötztal ums Leben gekommen, als „Klein-Thomas“ gerade einmal elf Jahre alt war.

In Kitzbühel ging der Streif-Sieger kurz auf die Knie und dachte wie nach jedem Rennen kurz an seinen verstorbenen Vater. „Der Dank geht nicht nur nach oben, sondern auch zu meiner Mama. Wenn die mich nicht so unterstützt hätte und hinter mir gestanden wäre, wäre ich jetzt nicht da“, meinte das 100 kg schwere Kraftpaket gegenüber der internationalen Presse.

Mitfavorit bei Olympia

Ein dritter Platz bei der Abfahrt in Beaver Creek im vergangenen Dezember war seine bislang beste Platzierung im Weltcup, durch den sensationellen Triumph auf der Streif ist er nun jedoch unumstritten in die Mitfavoritenrolle für die olympische Abfahrt im Februar in Südkorea gerast.

Die Österreicher haben dem gebürtigen Piefke den Sieg gegönnt. Wie so oft in der Vergangenheit, wenn ein Deutscher im Skifahren gewinnt, dann wird im Nachbarland nach einer rot-weiß-roten Verbindung gesucht, um den jeweils aktuellen Hero wenigstens ein bisschen einzugemeinden. Und siehe da: Dreßen ging nach seiner Grundschulzeit über eine Skihauptschule im Stubaital aufs Skigymnasium nach Saalfelden. Außerdem lebt er mit seiner alpenländischen Partnerin in Oberösterreich, da schmerzt es in der rot-weiß-roten Sportseele nicht mehr ganz so arg, wenn ein Deutscher die Streif gewinnt. Die begeisternden Kommentare der Österreicher jedenfalls über den DSV-Burschen wirkten ehrlich.

Zitate zu dem historischen Coup

„Ich könnt zum Flennen anfangen, weil es so schön war.“ Felix Neureuther, derzeit verletzt

„Ich weiß auch nicht wo der Abfahrtstrainer ist, normal ist er ein seriöser Mann.“ Alpindirektor Wolfgang Maier am Morgen danach über Coach Christian Schwaiger

„Das lässt sich jetzt nicht wegdiskutieren, wenn du Kitzbühel gewinnst, unmittelbar vor Olympia, dass du dann einer der Favoriten bist.“ DSV-Cheftrainer Mathias Berthold analysiert sachlich die Lage

„Gott sei Dank bin ich jetzt mal abgelöst. Das hältst du auf Dauer ja nicht aus.“ Sepp Ferstl, letzter deutscher Sieger auf der Streif 1978 und ‚79, über die Wachablösung in der historischen Bestenliste

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Erstellt:
22.01.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 13sec
zuletzt aktualisiert: 22.01.2018, 06:00 Uhr

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