Medien in Meßstetten

Thema Flüchtlinge: Zurücklehnen geht nicht

Online-Redakteur Michael Würz vom Zollern-Alb-Kurier und SWR-Reporterin Sandra Müller waren ganz nah dran in Meßstetten.

15.02.2017

Von Dorothee Hermann

Glaubwürdigkeit ist anstrengend. Als der Balinger Zollern-Alb-Kurier (ZAK) am 15. August 2014 berichtete, dass in der Kleinstadt Meßstetten bis zu 1000 Flüchtlinge in einer leerstehenden Kaserne untergebracht werden sollten, band das Online-Redakteur Michael Würz und einen Volontär für die folgenden zwei Jahre an den Rechner, teilweise bis halb vier Uhr in der Nacht, weit über die übliche Wochenarbeitszeit hinaus.

Sie antworteten auf jeden Facebook-Eintrag und auf jede E-Mail, hängten sich ans Telefon und sprachen mit Lesern. Und das, obwohl Würz gleich am ersten Tag eine Morddrohung erhalten hatte: „Wir würden schon sehen, was wir von denen haben.“ Er solle aufhören, Kommentare des Absenders bei Facebook zu löschen. „Andernfalls wolle er vorbeikommen und das auf seine Art regeln.“

Am Dienstagabend berichtete der Lokalreporter auf Einladung der Journalistengewerkschaften dju in Verdi und DJV in der Tübinger Gaststätte „Loretto“, wie er sich bemühte, in der brodelnden Gerüchteküche Haltung zu bewahren. „Wir waren relativ schnell im Fokus aller, die uns gehasst haben und ihre Politik unterbringen wollten.“ Auch Kollegen zweifelten: „Kann das gutgehen?“ erinnerte sich Würz. „Das war 2014, da gab es noch keine große Flüchtlingswelle, noch keine ,Spiegel’-Titel.“ Für die nächsten beiden Jahre recherchierten die ZAK-Onliner genauso wie die beiden SWR-Reporterinnen Sandra Müller und Katharina Thoms kontinuierlich in Meßstetten. Sie fanden beispielsweise heraus, dass an der angeblichen Plünderung des dortigen Lidl-Markts durch Flüchtlinge nichts dran war und die Geschäftsleitung keineswegs beabsichtigte zu schließen: Durch die Flüchtlinge war der Umsatz deutlich gestiegen.

Beharrlich entkräftete Würz Falschmeldungen durch Fakten – und schaffte es, dass Leser wie Facebook-Kontakte sich ernstgenommen fühlten. Manchen erläuterte er schlicht den Unterschied zwischen einem Bericht und einem Kommentar. „Wenn wir die Chance bekommen, einem Leser zu erklären, wie wir unsere Arbeit machen, sollten wir das tun.“ Er zensierte auch nicht, was auf Facebook abging. „Wir haben nur ganz wenige Posts gelöscht, die offensichtlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar waren“, sagte er.

Mit der Zeit stellte sich ein überraschendes Ergebnis ein: Die Bindung der Leser an ihre Zeitung war gewachsen. Die Facebook-Seite sei viel beachtet und als verlässlich wahrgenommen worden, sowohl von außen wie von Kollegen. Dass es auch Lob von Lesern gab, freute Würz besonders „in einer Zeit, in der alle Zeitungshäuser um die richtigen Wege ringen“. Es war nicht so, dass der Online-Redakteur sich hätte beruhigt zurücklehnen können. „Als Pegida wuchs, begannen die Leute unter Klarnamen zu schreiben, Feuerwehrleute, Ortsvorsteher, Akademiker.“

Als die SWR-Reporterinnen Sandra Müller und Katharina Thoms zur ersten Bürgerversammlung in der Meßstettener Festhalle kamen, war die beiden von der positiven Stimmung überrascht, und Müller fragte sich: „Was wird aus diesem ungewöhnlichen Moment? Die Flüchtlinge kommen. Die Meßstetter wollen helfen. Wie packen die das?“ Sie und ihre Kollegin wurden in sozialen Netzwerken ebenfalls häufig angeschrieben, oft anonym. „Es hat mich persönlich sehr getroffen.“ Doch auch sie machte sich die Mühe, „mindestens auf die erste Mail auf jeden Fall zu antworten. Zwei Drittel wurden danach im Ton zurückhaltender.“ Und: „Es geht um die Tausenden, die da mitlesen.“ Das Problem: „Jedes Mal, wenn ein vermeintlicher Skandal oder eine Falschmeldung wiedererzählt wird, verfestigen sie sich in den Köpfen.“

Die Einheimischen zu Wort kommen lassen

Michael Würz sammelteschon als Jugendlicher journalistische Erfahrungen beim Balinger Zollern-Alb-Kurier. Seit 2013 baute er die Online-Präsenz der Zeitung auf. Für die Berichterstattung über Meßstetten wurde er 2015 er vom „Medium Magazin“ unter die „Journalisten des Jahres“ gewählt. Auf dem Internetportal Übermedien schreibt Würz: „Wie wir mit der Hetze fertig geworden sind.

SWR-Reporterin Sandra Müller drehte mit ihrer Kollegin Katharina Thoms eine Langzeit-Web-Doku über die Erstaufnahmestelle Meßstetten. „Wir wollten zeigen, was es für die Einheimischen bedeutet. Das hat uns vor dem ganz schlimmen Hass bewahrt.“

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Erstellt:
15.02.2017, 20:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 15.02.2017, 20:00 Uhr

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