The Killing of a Sacred Deer

The Killing of a Sacred Deer

Kult-Regisseur Yórgos Lánthimos erzählt - angelehnt an die griechische Mythologie und mit Starbesetzung - eine absurde Rachegeschichte.

28.12.2017

Von Dorothee Hermann

Mit seinem dichten schwarzen Vollbart und der kräftigen Statur erinnert der Herzchirurg Steven Murphy (Colin Farrell) an eine alttestamentarische Gestalt – oder auch an einen jener obsessiven Puritaner, die noch im Amerika des ausgehenden 17. Jahrhunderts an Hexenverfolgungen beteiligt waren. Er ist eine seltsam starre Persönlichkeit und verzichtet sogar beim Sex lieber auf ein aktives Gegenüber.

Seine Frau, die Augenärztin Anna (Nicole Kidman), hat sich damit längst abgefunden. Sie spielt so routiniert mit, dass zumindest dem in die Rolle des Voyeurs gedrängten Zuschauer die lächerliche Absurdität dieser Bettszene sofort auffällt. Das Paar hat zwei Kinder: die 14-jährige Kim (Raffey Cassidy) und den zwölfjährigen Bob (Sunny Suljic).

Neuerdings hat sich in die Routinen der Familie ein Fremder eingeschlichen. Es ist der 16-jährige Martin (eindrucksvoll: Barry Keoghan), der Steven dafür verantwortlich macht, dass sein Vater das Krankenhaus nicht mehr lebend verlassen konnte. Zunächst mit unterwürfigem Blick, aber beharrlich-klammernd wanzt er sich so lange an, bis er sein beträchtliches Psycho-Arsenal voll auffahren kann. Martin ist kein Underdog, aber sozial auch nicht auf derselben Ebene wie die Murphys. Von seiner Mutter hat er gelernt, eine extrem narzisstische Übergriffigkeit mit aufgesetztem Unterwerfungsgetue zu kaschieren.

Lange bevor eine Nebenfigur direkt auf die Iphigenie der griechischen Mythologie verweist, die von ihrem Vater Agamemnon geopfert werden sollte, dämmert einem, dass hier etwas im Gange ist, wogegen der Einzelne kaum etwas wird ausrichten können.

Die Figuren sprechen häufig betont theaterhaft: Es ist schwer vorstellbar, dass ein Satz wie „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht in diese Lage bringen“ einem 16-Jährigen spontan über die Lippen kommt. Steven wirkt seinerseits ohnehin wie ein Popanz, als wäre sein Persönlichkeitskern ausgelöscht, seit er zwangsweise auf zu viel Alkohol verzichtet.

Die Konstellation (die Familie und der Eindringling) lässt an Pasolinis Meisterwerk „Teorema – Geometrie der Liebe“ denken. Doch bei dem griechischen Regisseur Yorgos Lanthimos („The Lobster“) ist der Fremde ganz und gar nicht charismatisch, und er hat nicht Erotik zu bieten, sondern sinnt auf ein Lebend-Opfer wie in den archaischsten Mythen – und das ist definitiv etliche Nummern zu groß für den häufig etwas kümmerlichen Martin.

So wird das Rätsel an die Familie Murphy zurückgereicht, und man sollte sich fragen, warum sie in ihrer bestehenden Verfassung so hilflos gegenüber dem Eindringling bleibt. Gewohnte Ordnungssysteme wie Polizei und Medizin können nichts ausrichten.

Schlägt mit elementarer Wucht zu und lässt lange rätseln, wo der Schalter noch hätte umgelegt werden können.