Teresa Enke

Teresa Enke über Depressionen und ihren Weg zurück zum Glück

Zwölf Jahre nach dem Tod ihres Mannes Robert spricht die frühere Spielerfrau über den Suizid des ehemaligen Nationaltorhüters, die Macht von Depressionen, die Herausforderung für Angehörige und ihren eigenen Weg zurück zum Glück.

10.11.2021

Von Elisabeth Zoll

„Die Gesellschaft ist sensibler geworden, auch für die psychischen Folgen der Corona-Pandemie“, sagt Teresa Enke. Foto: Moritz Frankenberg

„Die Gesellschaft ist sensibler geworden, auch für die psychischen Folgen der Corona-Pandemie“, sagt Teresa Enke. Foto: Moritz Frankenberg

Hannover. Carlo und Jacki haben das Terrain schon erobert, da steht Teresa Enke noch im Mantel in der Eingangstür. Die beiden Mischlinge sind in den hellen Büroräumen im Dachgeschoss des Niedersächsichen Fußballverbandes fast zu Hause. Hier hat die Robert-Enke-Stiftung ihr Büro. Teresa Enke ist die Vorstandsvorsitzende. Die beiden Hunde jagen fröhlich durch die Räume. „Das ist immer so“, sagt Enke lachend. Die 45-Jährige liebt Tiere. In den schweren Phasen der vergangenen Jahre waren sie treue Begleiter.

Frau Enke, ein weiteres Mal jährt sich der Todestag Ihres Mannes Robert. Wie gehen Sie mit diesem Tag um?

Heute bin ich an diesem Tag nicht trauriger als an anderen Tagen, wenn ich an Robert denke. Das war in den ersten Jahren anders.

Wie leben Sie mit Ihrem verstorbenen Mann?

Er ist noch immer präsent. In Bildern, in Gesprächen. Aber auch nicht mehr jeden Tag. Ich bin inzwischen wieder verheiratet, habe in ein neues Leben gefunden. Robert ist nach wie vor Teil unseres Lebens. Ich spreche auch mit meiner Tochter über Robert. Der Schmerz ist zurückgegangen. Geblieben ist die Dankbarkeit.

Sie hatten 2009 den Tod Ihrer herzkranken Tochter Lara zu verkraften, dann den Ihres Mannes. Wie fanden Sie ins Leben zurück?

Schwierig war die Zeit nach der Beerdigung. Da habe ich gemerkt, wie alleine ich war. Natürlich gab es viele Menschen um mich herum. Doch wenn die Haustür zu war, waren da nur noch meine Tochter Leila und die neun Hunde. Für meine Tochter habe ich weitergemacht. Ich habe gelebt, wenn auch nicht gut. Bewusst wurde mir das eineinhalb Jahre nach dem Tod meines Mannes. Ich war spazieren mit Leila in der Kindertrage. Der Tag war so schön. Ich hätte ihn gerne mit Robert geteilt. Als mir die Tränen übers Gesicht liefen, legte mir meine Tochter, die zu diesem Zeitpunkt nur wenige Worte sprechen konnte, ihre Hand auf meine Schulter und sagte: Mama weine nicht. In dem Moment war mir klar, dass ich etwas ändern musste. Meine Tochter brauchte eine Chance auf ein normales Leben. Ich bin in eine Klinik gegangen. Dort hat man mir geholfen.

Wann kam Farbe zurück in Ihr Leben?

Nach einigen Wochen in der Klinik. Ich lernte zu akzeptieren, dass Robert nicht mehr da war. Mir wurde auch klar, dass ich eine Luftveränderung von Hannover brauchte. Mit meiner Tochter bin ich nach Köln gezogen.

Was hat Ihnen bei der Rückkehr in Ihr eigenes Leben geholfen?

Mein Leben gab es zunächst nicht mehr. Ich war Spielerfrau und ganz auf Robert fixiert. Mit seinem Tod ist viel zusammengebrochen. Es gab den Fußball nicht mehr, auch nicht das aufregende Leben. Ich hatte noch meine Tiere und meinen Tierschutz. Dann habe ich die Robert-Enke-Stiftung gegründet. Sie war auch eine Chance, in dem mir vertrauten Bereich zu bleiben.

Teresa Enke, Witwe von Fußball-Torwart Robert Enke und Vorstandsvorsitzende der Robert-Enke-Stiftung, spricht am 04.11.2021 in einem Interview mit der Südwest Presse in den Räumlichkeiten ihrer Stiftung in Barsinghausen (Region Hannover). Foto: Moritz Frankenberg

Teresa Enke, Witwe von Fußball-Torwart Robert Enke und Vorstandsvorsitzende der Robert-Enke-Stiftung, spricht am 04.11.2021 in einem Interview mit der Südwest Presse in den Räumlichkeiten ihrer Stiftung in Barsinghausen (Region Hannover). Foto: Moritz Frankenberg

Wie haben die Depressionen Ihres Mannes Ihr gemeinsames Leben geprägt?

Die Angst vor einer neuen Depression war oft gegenwärtig. In unseren 14 gemeinsamen Jahren hatte er zwei schwere und eine finale Depression. Gefährdet war er immer. Wenn es ihm nicht gut ging, legte er oft seinen Kopf schräg zur Seite. Dann war ich alarmiert.

Wie war er in den schlechten Phasen?

Da wurde er traurig, niedergeschlagen. Saß da, sprach nicht mehr viel. Das hat sich schleichend eingestellt. Die ersten beiden Depressionen hatten einen Auslöser: Veränderung. Einmal war es der Wechsel von Jena nach Mönchengladbach. Die zweite kam mit dem Wechsel zum FC Barcelona und zu Fenerbahçe Istanbul. Der wurde zur Katastrophe. Bei der letzten Depression gab es diesen Anlass nicht.

Wann haben Sie realisiert, dass Ihr Mann ernsthaft krank ist?

In Barcelona. Da wurde mir klar, dass der Alltag nicht mehr funktionierte. Robert konnte nicht mehr aufstehen. Er war überfordert, wenn er seine Schuhe anziehen sollte.

Was war in diesen Phasen das Schwierigste für Sie?

Das Gefühl, keinen Partner mehr zu haben. Da war dann jemand, um den man sich kümmern musste, um den man Angst hatte. Dazu kam noch das Versteckspiel: Würde jemand bemerken, dass etwas nicht stimmt?

Wie haben Sie sich gestärkt?

Ich habe versucht, mir immer wieder Freiräume zu nehmen. Wenn Robbi beschäftigt war, bin ich mit meinen Hunden spazieren gegangen. Ich habe versucht, Robbi mit Samthandschuhen zu behandeln, hatte Angst, etwas Falsches zu sagen. Doch ich hatte auch Wut und den Gedanken: „Mensch, Du hast doch alles. Du bist erfolgreich.“ Über meine Wut habe ich mich dann sehr geärgert.

Was raten Sie Angehörigen?

Sie müssen verstehen, dass die Teilnahmslosigkeit des Partners nichts mit ihnen zu tun hat. Angehörige können einem Kranken zur Seite stehen. Aber sie sind keine Therapeuten. Gut wäre es, wenn sie nicht zu streng sind. Weder mit sich noch mit dem Kranken. Sie können ihm eine Struktur geben, damit er aufsteht, sich anzieht, vielleicht rausgeht. Allerdings ist der Grat zwischen sanftem Anstoßen und Übergriffigkeit ziemlich schmal. Da muss man auf sein Bauchgefühl hören.

Hatten Sie oft Angst, dass sich Ihr Mann etwas antun könnte?

Das war schon präsent. Vor allem bei der letzten Depression. Da hat Robbi ganz offen über Suizid-Gedanken gesprochen. Ich habe ihn dann gefragt: Kannst Du Dir vorstellen, wie das für mich ist, wenn ich mit Leila an Deinem Grab stehe?

Es hat ihn nicht aufgehalten. Haben Sie eine Erklärung, warum ihm der Suizid der einzige Ausweg erschien?

Darüber habe ich lange nachgedacht. Denn Robbi hat das Leben geliebt, und er war auch ein sehr ängstlicher Mensch. Ich glaube, es war die Ausweglosigkeit. Er konnte die dunklen Gedanken nicht mehr ertragen. Vermutlich dachte er, wenn es dunkel wird, wird es besser.

Dabei wusste Ihr Mann, dass eine depressive Phase vorbeigeht …

Das Wissen hat ihn nicht getragen. Dabei ist er aus den ersten Depressionen gestärkt hervorgegangen. Doch die letzte Depression war anders. Die machte ihm Angst. Vielleicht war da auch Druck. Robert wollte als Nationaltorwart unbedingt dem Vertrauen gerecht werden, das in ihn gesetzt worden ist.

In welcher Phase der Depression hat sich Ihr Mann das Leben genommen? War das am Tiefpunkt?

Nein, das war ja das Trügerische. Er hatte noch zwei Spiele gemacht: in Köln und zu Hause gegen Hamburg. Da spielte er gut. Ich habe gestaunt. Videos zeigen ihn kurz nach dem Spiel. Robbi schaut da in den Himmel. Im Nachhinein sehe ich: Da hatte er bereits abgeschlossen. Die innere Ruhe kam, weil er sich zum letzten Schritt entschlossen hatte. Das wusste ich nicht. Ich war voller Hoffnung.

Einen Tag nach Roberts Tod haben Sie öffentlich gemacht, was Sache war. Warum war Ihnen das wichtig?

Ich war es leid, zu schweigen. Robbi hatte es geschafft, seine Krankheit zu verbergen mit dem Ergebnis, dass er nicht mehr da war. Dann gab es bereits viele Spekulationen. Mit meinen Worten wollte ich alle Türen öffnen und zugleich schließen.

Fällt das Eingeständnis, an Depressionen zu leiden, im Spitzensport besonders schwer?

Ja. Die Fußballer sind die Gladiatoren der modernen Zeit. Da passt keiner dazu, der sagt, mir geht es gerade nicht so gut.

Das war vor zwölf Jahren. Was hat sich seither verändert?

Heute weiß man, dass zu einem Krankheits-Eingeständnis eine große Stärke gehört. Sportler können sich behandeln lassen und dann zurück aufs Spielfeld kommen. Das ist wie nach einem Kreuzbandriss.

Ein Spitzensportler steht permanent in der Öffentlichkeit. Macht das krank?

Es macht nicht krank, aber es erschwert das Leben mit der Krankheit. Ein bekannter Spieler kann nicht einfach traurig irgendwo herumsitzen. Er würde schnell gefilmt oder fotografiert werden. Das Versteckspiel begünstigt einen schwereren oder einen längeren Verlauf der Erkrankung.

2010 haben Sie die Robert-Enke-Stiftung gegründet. Was wollen Sie erreichen?

Eine Enttabuisierung der Krankheit. Heute wird zum Glück viel über psychische Gesundheit gesprochen, auch in der Wirtschaft. Das ist gut. Die Gesellschaft ist sensibler geworden, auch für die psychischen Folgen der Corona-Pandemie.

Stoßen Sie noch auf Ignoranz?

Natürlich gibt es ignorante Menschen. Ein Beispiel ist Boris Becker, der über die Tennisspielerin Naomi Osaka sagte, sie solle sich nicht so anstellen. Boris Becker hat vieles nicht verstanden. Aber er steht nicht für die Mehrheit.

Wendet sich Ihre Stiftung ausschließlich an Sportler?

Nein, aber zum Spitzensport haben wir eine besondere Nähe. Wir versuchen, jedem zu helfen. Vor Corona war das leichter. Jetzt ist das System gnadenlos überlastet. Es fehlen viele Therapieplätze. Neu sind für uns die Anfragen zu Kindern, die psychisch in Not sind.

Was raten Sie Angehörigen, die Sorge um einen Menschen haben?

Sprechen. Angehörige sollen ihre Beobachtungen teilen: „Ich habe den Eindruck, Du hast keinen Spaß mehr.“ Wichtig ist, nahe am Betroffenen bleiben, ihn aber nicht zu erdrücken. Man sollte sich auch nicht abschütteln lassen, wenn sich der andere nicht mehr meldet. Im Gegenteil: Hellhörig werden, wenn Menschen, die sonst immer zum Sport, zum Stammtisch kamen plötzlich sagen: Ich habe keine Lust mehr.

Ist Ihnen der Fußball noch wichtig?

Ja. Ich bin gern Teil der Fußball-Familie. Dazu muss ich nicht ins Stadion gehen. Das ist immer noch nicht so einfach. Die Stiftung wird getragen vom Deutschen Fußballbund, der Deutschen Fußballliga und Hannover 96. Sie sind für uns da, und wir sind für Spieler da. Wir können uns aufeinander verlassen. Das gibt mir ein gutes Gefühl.

Teresa Enke mit Redakteurin Elisabeth Zoll im Büro der Robert-Enke-Stiftung. Foto: Moritz Frankenberg

Teresa Enke mit Redakteurin Elisabeth Zoll im Büro der Robert-Enke-Stiftung. Foto: Moritz Frankenberg

Mutter und Stiftungsgründerin

Am Sportgymnasium Jena lernte Teresa Enke (45) ihren späteren Ehemann Robert kennen. Im Jahr 2000 heirateten sie. 2004 kam ihr erstes Kind zur Welt. Wegen eines schweren Herzfehlers starb Lara im Alter von zwei Jahren. 2009 adoptierte das Paar ein zwei Monate altes Mädchen. Nationaltorwart Robert Enke nahm sich in einer Depression im November 2009 das Leben. Im Januar 2010 gründete Teresa Enke die Stiftung, die nach ihrem Mann benannt ist.

Wenn Sie sich in einer persönlichen Krise befinden gibt eine Vielzahl von Hilfsangeboten, etwa das anonyme Gesprächsangebot der Telefonseelsorge unter der kostenlosen Rufnummer 0800 111 01 11 oder 0800 111 02 22.

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Erstellt:
10.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 08sec
zuletzt aktualisiert: 10.11.2021, 06:00 Uhr

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