Hochwürdigste Mobilität

Tag der Archive zeigte in Rottenburg, wie Bischöfe reisten und was das Volk bewegte

„Mobilität im Wandel“ war das Thema des bundesweiten „Tags der Archive“ am Samstag. Das Diözesanarchiv und das Stadtarchiv hatten sich zusammengetan und zeigten im Sülchgaumuseum einige Stücke, die Schlaglichter auf reisende Bischöfe und auswandernde Schwaben warfen.

07.03.2016

Von Fred Keicher

Tag der Archive zeigte in Rottenburg, wie Bischöfe reisten und was das Volk bewegte

Rottenburg. Wie streng die Kontrolle der neu entstehenden Diözese durch das Königreich Württemberg war, zeigte ein Briefwechsel aus den Jahren 1820 und 1821. Es ging um nichts weniger als die Frage, wieviele Pferde der Bischof vor seine Kutsche spannen dürfe. Der Innenminister verfügte barsch, „daß das Amt wird durch den Gebrauch von mehr oder weniger Pferden in keiner Weise weder gehoben noch gefährdet werden können“. Zwei Pferde und nicht mehr wurden Johann Baptist Keller zugestanden.

Das „Hochwürdigste Ordinariat“ legte prompt Widerspruch gegen die Verfügung des „hochpreißlichen Ministerii“ ein und schrieb zurück, dass seine Kutsche „nach der in der katholischen Kirche bestehenden Observanz nicht unter die Categorie dieser Verfügung zu unterstellen seyn dürften“. Das Ministerium gab nach und gestattete vier Pferde „bei Reisen in bischöflicher Verrichtung“.

Dabei bereiteten die Pferde allerdings auch ganz praktische Probleme. Aus dem Jahr 1817 haben Angela Erbacher und Andreas Göbel vom Diözesanarchiv eine Rechnung ausgegraben. Es geht um die Verlegung eines Pferdestalls im Kapuzinerkloster. Direkt darüber befand sich das Schlafzimmer des späteren Bischofs. Das Diözesanarchiv hatte die Akten benutzerfreundlich kopiert und transkribiert. Es sind ja nicht bloß Kuriositäten, sondern Schauplätze, auf denen die Bischöfe um ihre Anerkennung kämpften. Auf Firmreisen waren sie oft monatelang unterwegs.

Andere Zeiten andere Verkehrsmittel. In den 1920er Jahren wurden auch in der Kirche Automobile eingesetzt. Das Bonifatiuswerk empfahl das 15 PS Kabrio von Dixi als „Pastorisationsauto“ für den seelsorgerlichen Verkehr der Priester. Bischof Sproll richtete eine Anfrage an Kardinal Faulhaber in München Freising, wie denn die Bezahlung eines Chauffeurs in der Erzdiözese geregelt sei. Eine ganz andere Sprache sprechen die Bescheide aus dem Jahr 1946 des Landeswirtschaftsamt, das seinen Sitz in Tübingen, Neckarhalde 1, hatte, dem Evangelischen Stift. Es dreht sich um Zuteilung von Fahrrädern und Fahrradreifen.

Liturgisch hoch interessant war die Vitrine, in der so genannte Antimensien ausgestellt waren. Thomas Oschmann vom Diözesanarchiv erläuterte diese Ersatzaltäre, mit denen jeder Tisch zum Altar werden konnte. Sie wurden 1942 für alle Priester erlaubt, „die mit dem deutschen Heer im Feld stehen“. Später wurden sie in die Friedenszeit hinein verlängert.

Im Archiv befänden sich ein paar hundert dieser Antimensien, sagte Oschmann, die meisten aus Marmor, in dem eine Reliquie eingelassen war. Die Kriegsversion wurde von Schwester Maria Sebalda in St. Klara hergestellt. Zwischen zwei Pergamentblättern wurden die Reliquien eingeklebt. Schwester Sebalda umstickte das Pergament am Rand (siehe Bild). Eingehüllt wurde das Ganze in ein feines Leinentuch, dessen Ränder die Schwester sorgfältigst gekettelt hat. 765 Antimensien hatte Schwester Sebalda bis 1946 hergestellt, berichtete Oschmann.

An einem langen Tisch hatte Stadtarchivar Peter Ehrmann ausgestellt, was er in seinem Archiv an Spuren mehr oder weniger freiwilliger Mobilität hat. Die zu Hunderttausenden ausgewanderten Schwaben hinterließen Spuren in den Akten. In den Nachlässen aus dem 19. Jahrhundert sei es nicht ungewöhnlich, dass von acht Kindern drei in den USA lebten. So kamen dann wunderschöne Beglaubigungen aus den USA in die Akten des Stadtarchivs. Bewegung war auch in Rottenburg selbst. Ehrmann sagte, dass im 19. Jahrhundert kein Haus in Rottenburg länger als 30 Jahre im Besitz einer Familie gewesen sei. Die 40 Wirtshäuser der Stadt mit ihren Sälen seien Brutstätten der Revolution gewesen. Da seien Zauberer aufgetreten, später Filme gezeigt worden. Manchmal seien dort auch einfach Spaßvögel vorbeigekommen. Wie am 23. Juli 1900 die zwei Faßroller aus Wien auf ihrem Weg nach Paris, die im „Römischen Kaiser“ (heute Haus Jeckel) abgestiegen seien und massenhaft Ansichtskarten verkauft hätten. In den Gasthöfen wurde auch „ Carneval“ gefeiert. Der hieß bis zum Ersten Weltkrieg so, sagte Ehrmann, und hatte eher rheinischen Charakter. Die Fasnet kam erst später.

Unterwegs sind auch Wallfahrer und Pilger. Kathrin Linz stellte die Diözesanpilgerstelle vor, die vielen das Pilgern erleichtert. Gefunden hatte sie im Archiv einen Bericht über die Rom-Wallfahrt einer Jugendgruppe aus den fünfziger Jahren. Da ist alles schief gegangen, was nur schief gehen konnte. Unter anderem brannte der Omnibus.

Ganz Unentwegte machten sich am Samstag trotz Regenwetters auf zur Stadtführung. Man ging zur Judengasse, an den Häusern der französischen Emigranten vorbei, der ehemaligen Postkutschenstation. Man stand vor dem Rathaus, das Bauleute aus Vorarlberg nach dem großen Stadtbrand quasi als Generalunternehmer wieder aufgebaut haben. Das waren damals Inländer, sagte Peter Ehrmann. Wä ren sie aus Tübingen gekommen, wären es Ausländer gewesen.