Rottenburg

TAGBLATT-Gutenachtgeschichte: Männer mit Kamelhaarmänteln im Klostergarten

Hinter den Mauern zur Badstraße hin verbirgt sich in Bad Niedernau der traumhafte Klostergarten, den die Stiftung der Armen Schulschwestern ab und an öffnet für Veranstaltungen, am Mittwochabend für die Gutenachtgeschichte und für rund 90 Zuhörerinnen und Zuhörer.

30.07.2021

Von an

Bild: Angelika Bachmann

Bild: Angelika Bachmann

Im roten TAGBLATT-Lesesessel im „grünen Salon“, wie ihn Ortsvorsteher Wolfgang Merz nannte, nahm erst Raphael Hofmann Platz und öffnete den Vorhang für Leyland, den Protagonisten in Pascal Merciers „Das Gewicht der Worte“. „Schließen Sie Ihre Augen, öffnen Sie Ihre Ohren“, riet Hofmann und nahm die Zuhörer mit in die Londoner U-Bahnhöfe, in denen „die Luft nach Keller, Staub und Kohleöfen“ riecht und Papierchen über die Bahnsteige wirbeln. Es war allemal eine Empfehlung, am nächsten Tag in den Buchladen zu gehen – auch damit man erfährt, wohin die Begegnung Leylands mit dem ebenso introvertierten wie sprachkundigen Insassen eines Gefängnistrakts in Triest führt und man zu Hause noch einmal die albanischen, italienischen oder baskischen Wortschöpfungen nachklingen lassen kann. Was heißt wohl „Kamelhaarmantel“ auf Albanisch? Hätte wohl Elke Heidenreich gefragt, deren Erzählungen „Männer in Kamelhaarmänteln“ Susanne Kökert nach der Pause vortrug. Trotz der Heiterkeit der Geschichten und des leichten Erzählstils schafft es Heidenreich, in jedem Nebensatz tiefgründig zu werden. Das getupfte Seidenkleid der verstorbenen Mutter, ein samtener Traum in Größe 34, die roten Slipper von Papst Benedikt sind allesamt Vehikel der Philosophie des Alltags, in der die einstige „Metzgersgattin Else Stratmann“ Großmeisterin ist. Die Zuhörerinnen und Zuhörer spendeten reichlich Applaus – und Euros in den Spendenhut, dessen Inhalt an die Organisatoren vom Förderverein Bad Niedernau geht, für den Bau der Mehrzweckhalle.