Mit Zitrone für den Pfiff

Syrische Flüchtlinge kochten Gerichte aus ihrer Heimat für Tübinger Gäste

Ein Essen für 50 Leute hat eine durchschnittliche syrische Köchin drauf. Das zeigten Flüchtlinge am Sonntagabend im Herzog Ulrich in der Südstadt.

03.05.2016

Von mario beisswenger

01.05.2016 Syrisches Slow-Food
03:12 min

Tübingen. „Es ist der Wahnsinn, wie viel Leute in der Küche sind.“ Für die Profi-Köchin Annika Walker war es am Sonntag etwas anstrengend, dass ihre Küche – wie alle Profi-Küchen recht kompakt – von syrischen Flüchtlingen übernommen wurde. 15 davon kochten im Herzog Ulrich in Schichten für 50 Gäste ein großes Abendessen.

Eingeladen hatte dazu das Tübinger Stadtmarketing und die Besser-Esser von Slow-Food. Nach einer kurzen Vorankündigung im TAGBLATT waren die Karten für 25 Euro gleich weg. Die Produktion von Mokka bis zur Nachspeise, dem Grieskuchen Namura, lief „überraschend gut“, wie Walker zugestand.

„Die haben die Mengen im Griff“, lobt Thorsten Brinkmann, zusammen mit Jürgen Hengst Pächter des Herzog Ulrich, die ihren Betrieb für die Kennenlern-Aktion zur Verfügung stellten. Familienfeiern in Syrien wachsen sich leicht zu Veranstaltungen mit 40, 50 Leuten aus. Deshalb kam Samar Karaf auch beim Schnippeln für den Tabouleh-Salat nicht ins Schleudern: „Das machen wir immer, wenn wir feiern.“

Sie arbeitete im Team mit Mona Jened, die beim Vergleich deutscher zu syrischer Küche grundsätzlich wurde: „Deutsches Essen schmeckt gut. Aber orientalisches Essen ist eine Stufe weiter.“ Die Gewürze würden die besondere Qualität ausmachen. Ein zustimmendes Nicken kam von ihrem Mann Nidal Fares, der die Linsensuppe rührte. Alle durften probieren. Walker spitzte die Lippen, da fehle noch der Pfiff. Kommt noch, sagten die Beiköche und die Berufsköchin räumt ein, dass Zitronensaft die Sache noch abrunde.

Die Köche entdeckten Sprichwort-Gemeinsamkeiten. Fadi Al Ahmad, der im geschlechter-paritätischen Küchenteam hinter den Linsenssuppen-Schwaden arbeitete, warf ein: „Der Weg zum Herzen eines Mannes geht über den Magen.“ Jened hoffte: „Das ist auch der beste Weg zum Herzen der Deutschen.“

Ab 18 Uhr kamen die Gäste. Vorneweg wurde zum Mokka ein Raki serviert. Essen, Musik, Tanz bringen Leute zusammen, sagte Berndt-Rüdiger Paul, einer der Besucher. „Essen ist ein guter Anlass im Leben, sich mit anderen auszutauschen.“ Wenn das Hellmut Stöhr von Slow-Food gehört hätte. Für seinen Verein sei es zentral, „die Konvivialität zu zelebrieren“, sagte er zur Begrüßung.

Kochen für 50 Gäste war für die Syrer kein Problem. Mona Jened (rechts) und Samar Karaf (Zweite von rechts) wollen auch künftig gerne in der Gastronomie arbeiten. Nidal Fares (Mitte) betätigte sich als Beikoch. Bild: Franke

Kochen für 50 Gäste war für die Syrer kein Problem. Mona Jened (rechts) und Samar Karaf (Zweite von rechts) wollen auch künftig gerne in der Gastronomie arbeiten. Nidal Fares (Mitte) betätigte sich als Beikoch. Bild: Franke

Claudia Kemmler war eher pragmatisch. Es stimme schon: „Essen verbindet, essen ist ungezwungen.“ Sie hat aber auch schon selbst mit der orientalischen Küche experimentiert. „Wir haben schon Maqlube gekocht und wollen das jetzt vergleichen.“

Politik und die Schrecken des Krieges in Syrien sollten am Sonntagabend draußen bleiben. Das ging aber kaum. Der anfangs eingespielte Film zeigte den kulturellen Reichtum Syriens mit Bildern zu einer experimentellen Vertonung des in Syrien gefundenen ältesten Lieds der Menschheit. Er war aber auch Erinnerung an den Verlust der Heimat.

Manuela Feiler vom Tübinger Stadtmarketing unterstützte die Kochaktion. Marketing sollte ja auch nach innen in die Stadtgesellschaft wirken, die Tübinger vergewissern, dass sie mit der Integration der Flüchtlinge richtig liegen.

Außerdem hatte sie praktische Absichten. das gesamte Küchenpersonal bekam eine Hygieneschulung und Einblick in die Gastronomie. „Da herrscht ja Personalmangel.“ Die Amateur-Köchinnen Mona Jened und Samar Karaf können sich auch durchaus vorstellen, in die Gastronomie einzusteigen.

Die Flüchtlinge arbeiteten nicht nur am Kochtopf. Ein Grafikdesigner aus Damaskus brachte zum Beispiel das Wissen mit, auf dem Einladungs-Flyer die arabische Rechts-links-Schrift geschickt mit der hiesigen zu verbinden.

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Erstellt:
03.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 38sec
zuletzt aktualisiert: 03.05.2016, 01:00 Uhr

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