Deutscher Buchpreis

Strubels „Blaue Frau“ ist mehr als ein MeToo-Roman

Deutscher Buchpreis Der beste Roman des Jahres: Antje Rávik Strubel erhält die Auszeichnung für „Blaue Frau“.

19.10.2021

Von dpa

Antje RávikStrubel im Frankfurter Römer.   Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Antje Rávik Strubel im Frankfurter Römer. Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Frankfurt am Main. Am Anfang ist die junge Frau in einem desolaten Zustand: Sie betäubt sich mit Schnaps in einer fremden Wohnung in einem fremden Land, die Tür abgeschlossen und malt sich aus, wie sie im Gericht von Helsinki ihre Aussage machen wird. Die Hände der Männer in Handschellen werden zittern, erhofft sie sich. Die junge Frau mit den drei Namen – Nina, Sala, Adina – ist traumatisiert und erlebt sich getrennt von der Welt, das wird im ersten Kapitel von Antje Rávik Strubels Roman „Blaue Frau“ (S. Fischer Verlag) schnell klar. Mit dieser Geschichte hat die Autorin nun den mit 25 000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis 2021 gewonnen.

Auf mehr als 420 Seiten entfaltet die 47-jährige Strubel nicht nur die MeToo-Geschichte einer Frau, die nach einem Weg sucht, wie sie nach einer Vergewaltigung weiterleben kann. „Blaue Frau“ handelt darüber hinaus von Machtstrukturen in Beziehungen, Institutionen und Staaten. Es geht um das Macht- und Mentalitätsgefälle zwischen Ost und West, um den Zusammenhang von Geld und Autorität, um Ausbeutung von Menschen im angeblich vereinten Europa des Jahres 2004.

Strubel behandle das Thema „mit existenzieller Wucht und poetischer Präzision“, urteilte die Jury des Deutschen Buchpreises am Montagabend. „Die Geschichte einer weiblichen Selbstermächtigung weitet sich zu einer Reflexion über rivalisierende Erinnerungskulturen in Ost- und Westeuropa und Machtgefälle zwischen den Geschlechtern.“ Gekonnt wechselt die Autorin die Zeitebenen und Schauplätze. Adina bricht aus dem tschechischen Skiort Harrachov nach Berlin auf, wird dort von der dominanten Fotografin Rickie aufgegabelt und bald von ihr für ein Praktikum in die Uckermark geschickt, wo mit Fördergeldern ein Kulturhaus entstehen soll. Ein Verbrechen ändert dann alles.

Acht Jahre hat die in Potsdam lebende Schriftstellerin an „Blaue Frau“ gearbeitet, sie war als Stipendiatin in Los Angeles und Helsinki. Möglicherweise traf sie dabei selbst Kulturfunktionäre, die als Vorbild für die teils satirisch überzeichneten Figuren im Roman dienten. Das Besondere an „Blaue Frau“ ist, wie Strubel den individuellen Kampf einer vergewaltigten Frau und ihren Weg zur Selbstermächtigung mit grundsätzlichen Fragen zu Machtmissbrauch und Ausbeutung in Europa verbindet.

Antje Rávik Strubel, 1974 in Potsdam geboren, veröffentlichte bereiits zahlreiche Romane. „Kältere Schichten der Luft“ (2007) war für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, „Sturz der Tage in die Nacht“ (2011) stand auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. dpa